Es geht um – Nichts. Verrückte Machtkämpfe der Schülerpolitik

Von Simon Ben Schumann | „In der Politik geht es nur um eins: Die Gesellschaft voranzubringen“ – Said nobody ever. Aus meiner Erfahrung geht es in politischen Organisationen oft darum, sich zu profilieren. Bei der Schüler Union hieß es „Wer auf der falschen Seite steht, wird fertiggemacht.“
Ich war ungefähr 15, als mir der Gedanke kam: „Ich will mich politisch engagieren.“ Damals war ich mir unsicher, ob das wirklich eine gute Idee ist – zurecht, wie sich später zeigte. Trotzdem schrieb ich eine Anfrage an die lokale Schüler Union. Ein Verwandter von mir war sowieso bei der CDU. Als er mal zu Besuch war, gingen wir dann zusammen zum „christdemokratischen“ Stadtfest.
Dort umringten alle, wie im alten Ägypten, den Pharao. Nur, dass der sich jetzt „Bundestagskandidat“ nannte. Vom Titel abgesehen, fehlte nur die Sänfte. Wie beim Wrestling, bildete die lokale Partei eine Traube um den Mann. Er glänzte in der Freundlichkeit und dem Zuvorkommen, das ihm seine Gefolgschaft entgegenbrachte. Für mein 15-jähriges Ich waren die schnatternden CDUler zunächst nicht der Typ Mafioso. Obwohl mich der Personenkult skeptisch stimmte, wollte ich erstmal dabeibleiben.
Doch mein Anfang bei der Schüler Union verlief desaströs. An einem Spätsommerabend saßen wir zum ersten Mal im Kreisbüro der CDU. Ein Mädchen, ungefähr 17, tischte eine Flasche auf. „Möchtest du auch?“, fragte sie nett. Ich schaute auf das Etikett. Das war keine Fanta – sondern „Hugo“. „Nein, danke“, lächelte ich nervös. Die anderen begannen zu trinken. Dann fingen sie an zu diskutieren.
Nach dem Ende der Sitzung war ich verwirrt. Alkohol war als 15-jähriger für mich Neuland. Aber vor Allem: Wieso wurde schlecht über den Kandidaten geredet – vorher wurde er doch so bewundert?
In einer urdeutschen, holzvertäftelten Kneipe fand ein weiterer gemeinsamer Abend statt. Sofort wurde deutlich: Diese Schüler Union ist echt was anderes. Denn in einem stickigen Hinterzimmer teilte sich die Gruppe. Auf der einen Seite: Eine junge Frau und ihre Verbündeten, über die schon viel gelästert wurde. Auf der anderen „meine Gruppe“ und ich. Die Stimmung war toxisch. Subtil, aber in vollem Ernst bekämpften sich die beiden Flügel der lokalen Schüler Union. Auch ich wurde mit reingezogen. Ich sollte mich auf eine Seite stellen, obwohl ich niemanden persönlich kannte. Um Inhalte ging es dabei nicht. Das war dann mein Ausflug in die CDU.
Hochmut kommt vor dem Fall
Was Machtgier angeht, bin ich auch nicht ganz ohne. Bei der Schüler Union hatte ich keine größeren Absichten. Anders war das bei der „Wahlsimulation“. Das war ein Projekt von ca. 100 Jugendlichen, welches von 2016 bis 2019 lief. Es ging darum, Bundes- und Landtagswahlen, Parteien und Parlamente online zu simulieren. Die Kommunikation ging über „Telegram“, alles weitere über Instagram und Online-Abstimmungen. Neben mir waren auch einige weitere Kollegen von Apollo dabei. Ich stieß damals interessiert mit einem Schulfreund dazu.
Und die Gier nach mehr packte uns. Innerhalb des Projektes gründete ich eine rechts liberale, mein Freund eine linke Partei. Auf Instagram begannen wir fleißig Wahlwerbung zu machen und Mitglieder zu gewinnen. In der Gruppe des Projektes auf Telegram ging die Post ab. Politische Diskussionen eskalierten öfter.
Nach einiger Zeit kam bei uns der Verdacht auf, dass die Leiter des Projekts nicht ganz ehrlich waren. Sie gehörten nämlich selbst zu einer virtuellen Partei. Wir beschlossen, sie zu stürzen. Mit einigen Intrigen – so weit waren wir bereit zu gehen – gelang es uns. Wir übernahmen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Online-Präsenzen des Projektes. Mit „besten“ Absichten.
Als Projektleiter hatten wir die Kontrolle über die simulierten Parlamentswahlen und „wichtige“ Positionen. Mein Freund, ein weiterer Kollege und ich bildeten ein Trio mit unbegrenzter Machtfülle. Es gab keine Kontrollinstanz. Wir gründeten zu dritt eine Telegram-Gruppe, die wir – kein Witz- „Elite“ nannten. Schon bald zogen wir in Erwägung, Wahlen zu fälschen, wenn wir eine Partei nicht mochten. Personen, die wir für „schlecht“ hielten, ließen wir nicht in Positionen kommen. Wir machten zwar auf Unschuldslämmer, aber die anderen in der „Wahlsimulation“ vermuteten schnell, dass irgendwas im Busch war.
Es dauerte nicht lange, bis auch wir gestürzt wurden. Ich glaube, das passierte durch eine Hackerattacke seitens einer Person, die wir ungerecht behandelt hatten. Innerhalb weniger Minuten verloren wir wichtige Zugangsdaten und hatten nichts mehr zu melden. Danach waren wir für einige Monate Fußabtreter, bis man uns wieder rehabilitierte. Und das zurecht.
Die Lektion aus diesen Geschichten ist für mich: Politik und Macht korrumpieren. Auch wenn es um wenig geht. Daher ist man immer selbst gefragt, wenn es heißt: „Helf‘ ich noch, oder regiere ich schon?“