Ein neuer König – und eine neue „eiserne Lady“ in London? Epochenwechsel in Großbritannien

Von Jonas Kürsch | Die letzten zwei Wochen hinterließen deutliche Spuren an der politischen Struktur Großbritanniens: neben der Ernennung eines neuen Premierministers haben viele Briten zum ersten Mal in ihrem Leben den Wechsel des eigenen Staatsoberhauptes miterleben dürfen. Mit dem Tod von Königin Elisabeth II. neigt sich eine Ära dem Ende zu – und dennoch scheint die britische Geschichte sich mit einer neuen „eisernen Lady“ an der Spitze der Regierung auf fast schon ironische Art und Weise zu wiederholen. Die Briten befinden sich in einem surreal anmutenden Hin und Her aus institutioneller Erneuerung und der scheinbar ewigen Wiederkehr des gleichen.
The Queen is dead, God save the King!
Kurz nach ihrem siebzigjährigen Thronjubiläum verstarb die Queen im hohen Alter von 96 Jahren hinter den Mauern des “Balmoral Castle“ in Schottland. Obgleich man ihren Tod eigentlich hätte erwarten müssen – schon im Frühjahr gab es Berichte über die Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes – kam das letztendliche Ableben der Monarchin für viele Menschen wie ein Schock. Die allerwenigsten Briten haben die Regentschaft eines anderen Monarchen selbst miterlebt. Die Queen galt daher als sicherer Fels in stürmischen Zeiten. Ihr Tod stellt für viele einen monumentalen Epochenwandel dar. Die Trauer ihrer Untertanen ist deutlich spürbar, es überwiegt aber vor allem der Respekt für eine Frau, die mit großem Verantwortungsbewusstsein ihren nationalen Verpflichtungen nachgekommen ist, wie es kaum ein anderer getan hat.
Der „ewige Thronfolger“ Charles ist nun mit dem historisch höchsten Alter bei Amtsantritt zum britischen König ausgerufen worden. King Charles III. tritt in der Öffentlichkeit zurückhaltend auf, er bemüht sich um eine möglichst bescheidene Erscheinung. Die Beliebtheit der Queen und sein eigenes, im Rahmen der vergangenen Jahre immer wieder ins Wanken geratenes Image setzen ihn auch heute noch unter Druck. Die Skepsis gegenüber des Königshauses ist auch unter den eigenen Untertanen in den vergangenen Jahren gewachsen. Es könnte für den „jungen“ König zu einem Drahtseilakt werden, das vielbeachtete Erbe seiner Mutter mit derselben Nonchalance fortzuführen, wie die Queen es über mehr als ein halbes Jahrhundert lang getan hat.
Bekommt Europa eine zweite eiserne Lady?
Wenige Tage vor ihrem Tod hatte die Königin noch die frisch gebackene Tory Parteivorsitzende Liz Truss mit der Bildung eines neuen Regierungskabinetts beauftragt. Sie ist damit die 15. Premierministerin, der Elizabeth II. diesen Auftrag erteilt hat. Nach einem mehrere Monate andauernden Wettstreit konnte sie den harten Machtkampf innerhalb der konservativen Partei für sich entscheiden und ihren Kontrahenten Rishi Sunak (ehemaliger Finanzminister) endgültig besiegen. Die neue Premierministerin hatte zuvor mit betont kapitalistischen Positionen bei der Parteibasis für das eigene Programm geworben. Schon früh kündigte sie Steuersenkungen und eine harte Bekämpfung der Kriminalität an, vor allem aber wolle sie Großbritannien wieder zu einem attraktiven Ort für große Unternehmen, qualifizierte Arbeitskräfte und sonstige Finanziers machen. In ihren ersten Tagen als Regierungschefin hatte Truss bereits ein milliardenschweres Finanzpaket zur Bekämpfung der horrenden Lebenskosten angekündigt. Im Rahmen dieses Krisengesetzes soll ein Deckel für Energiepreise in Höhe von 2500 Pfund erlassen werden.
Diese von der Presse als „Trussonomics“ bezeichneten Wirtschaftsmaßnahmen scheinen zumindest kurzfristig Wirkung zu zeigen, denn kurz nach ihrem Amtsantritt ist die nationale Inflationsrate zum ersten Mal seit etwa einem Jahr wieder leicht gesunken. Truss will jetzt noch weiter gehen, sie fordert von der englischen Zentralbank eine starke Erhöhung der Leitzinsen um so die Inflation zu bekämpfen und ihre Pläne zu den versprochenen Steuerermäßigungen möglichst schnell umsetzen zu können. Mit ihrer marktorientierten Wirtschaftsphilosophie erinnert die junge Premierministerin an Margaret Thatcher, welche von 1979 bis 1990 das Amt innehatte. Sie war die erste weibliche und zugleich die am längten amtierende britische Premierministerin des zwanzigsten Jahrhunderts. Ihr kompromissloser Regierungsstil wurde schon zu Lebzeiten verehrt und verdammt, zu Fall kam sie durch eine kabinetts- und parteiinterne Revolte, vergleichbar mit der Regierungskrise, die letztlich das politische Karriereende von Boris Johnson herbeiführte. Es erscheint wie ein makaberer Schicksalswink, dass gerade jene geistige Nachfolgerin des Thatcherismus die letzte Premierministerin ist, die von Königin Elisabeth II. ernannt werden würde. Schließlich soll die Queen keineswegs die neoliberale Politik der Iron Lady unterstützt haben.
Großbritannien wird sich verändern
Sowohl mit dem Amtsantritt der neuen Premierministerin als auch mit der bevorstehenden Krönung von Charles III. werden elementare, strukturelle Grundsätze des Königreichs auf die Probe gestellt. Es ist wahrscheinlich, dass sich die Rolle des Königshauses unter seinem neuen Monarchen ändern wird. Ebenso sehr ist davon auszugehen, dass Liz Truss die internationale Rolle von Großbritannien mit ihrer
ungewöhnlichen Wirtschafts- und Außenpolitik langfristig prägen wird. Den Umfragen zufolge befinden sich die Konservativen seit Truss’ Amtsantritt wieder im Aufwind, obwohl die Labour Party noch in Führung liegt. Es ist nicht klar, wie genau die Zukunft des vereinigten Königreichs aussehen wird, nur eines scheint sicher: das Land wird sich in den kommenden Jahren deutlich verändern.
Grüner König und Marktradikale in der Regierung – interessante Kombination… Very british irgendwie.