Ein Jahr Fall von Kabul: Das wahre Gesicht der Taliban
Am 15. August 2022 jährte sich der Fall von Kabul von 2021 zum ersten Mal, Apollo bringt daher diese Woche eine Artikelserie zum Rückblick auf die Geschehnisse von damals und ihren Konsequenzen.
Von Simon Ben Schumann | Für radikale Islamisten ist „Rechtsstaatlichkeit“ ein Fremdwort. Afghanistan – hin und hergerissen zwischen Modernisierung und Fundamentalismus – bekommt das jetzt zu spüren. Aber was bedeutet das konkret?
Letzten Sommer übernahmen die Taliban die Staatsgewalt in Afghanistan. Es ist nicht das erste Mal: Im Jahr 1997, während des afghanischen Bürgerkrieges, konnte die Terrorgruppe ihre Vorstellungen schon einmal in die Tat umsetzen. Damals proklamierten die selbsternannten „Gotteskämpfer“ das Islamische Emirat Afghanistan, das bis 2001 an der Macht blieb. Die Folgen waren verheerend.
So fand kurz vor der Jahrtausendwende ein beispielloser Abbau der Frauenrechte statt. Sie wurden damals in die „Sklaverei light“ geschickt. Weibliche Berufstätige wurden entlassen und teilweise mit einer minimalen Abfindung ausgestattet; sie sollten fortan von männlichen Verwandten abhängig sein. Ärztinnen durften nicht mehr praktizieren. Männlichen Ärzten wurde derweil verboten, sich um weibliche Patienten zu kümmern. Die Folge war eine medizinische Krise und vermeidbare Todesfälle.
Alle Frauen mussten in der Öffentlichkeit eine Burka tragen – die vollständigste Form der Verschleierung. Fenster von Häusern sollten in den ersten zwei Stockwerken verbarrikadiert oder abgeschirmt werden, damit vorbeigehende Männer die Hausfrauen nicht zufällig sehen konnten. Und das ist nur eine Auswahl der damals herrschenden Gesetze. Kritik an der Religion oder am Regiment der Taliban waren natürlich tabu. Sogar das Kino und unreligiöse Musik wurden verboten. Stattdessen stand die taliban’sche Islam-Interpretation an erster Stelle.
Wie sieht es heute aus?
Ein Pressesprecher der Taliban (ja, die gibt es wirklich), sagte ZDF-Journalisten in Bezug auf Frauenrechte: „Sie haben auch das Recht auf Bildung, solange gesichert ist, dass sie den islamischen Hijab tragen.“ Das steht im Widerspruch zum Fundamentalismus der Terrorgruppe.
Nun wollen die Taliban eine erneute Isolation auf der Weltbühne vermeiden und geben deswegen die Pragmatiker. Tatsächlich werden auch jetzt Frauenrechte beschränkt und Minderheiten diskriminiert. Grundrechte werden längst nicht mehr gewahrt, obwohl die Taliban sich öffentlich zu diesen bekannten.
Friedliche Proteste sind offiziell verboten und werden mit Gewalt verhindert. Frauen werden gesellschaftlich stark benachteiligt. Willkürjustiz, Folter und andere Formen der Rechtslosigkeit sind an der Tagesordnung. Es gibt Hinrichtungen im Schnellverfahren oder außergerichtliche Morde an Regimegegnern. Zusammengefasst: Die Taliban versuchen ihren neuen Staat als legitimen Rechtsnachfolger der Islamischen Republik Afghanistan zu etablieren.
Dafür fahren sie die Strategie, ihre menschenverachtende Ideologie mit schönen Worten zu tarnen. Daher ist äußerste Kritik angebracht, wenn Vertreter des neuen Regimes ihre „Werte“ in die Öffentlichkeit tragen wollen.