Ein Jahr Fall von Kabul: Das Versagen der deutschen Politik
Am 15. August 2022 jährte sich der Fall von Kabul von 2021 zum ersten Mal, Apollo bringt daher diese Woche eine Artikelserie zum Rückblick auf die Geschehnisse von damals und ihren Konsequenzen.
Von Leon Hendryk | Rückblende: August 2021 – nachdem die westlichen Truppen abziehen, fällt der afghanische Staatsapparat innerhalb weniger Wochen wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Die Taliban erobern tagtäglich neue Städte und dringen schlussendlich auch nach Kabul ein, die einzige Stadt Afghanistans, die für die letzten 20 Jahre den Taliban getrotzt hatte. Panisch versuchen tausende Ausländer und Afghanen das Land zu verlassen um der Rache der Taliban zu entgehen, es kommt zu dramatischen Szenen am Flughafen der Stadt. Andere versuchen das Chaos auszunutzen um als angeblich Verfolgte nach Europa oder Amerika auszureisen. Die Evakuierung der Ausreisewilligen verläuft schleppend, die Verantwortlichen sind sichtlich überfordert mit der Situation. Auch die deutsche Regierung versagt auf voller Linie und schafft es nicht, alle eigenen Staatsangehörigen und für sie arbeitende Afghanen rechtzeitig aus dem Land zu bringen. Der Abzug wird zum krönenden Finale einer von Misserfolgen geprägten Afghanistan-Mission.
Dieser völlig chaotische Abzug der Militärallianz wirft auch in der deutschen Öffentlichkeit viele Fragen auf. Warum war man nicht auf diese Entwicklung vorbereitet, oder hatte sie zumindest in Erwägung gezogen? Warum schafften es die Verantwortlichen nicht, die Evakuierungsflüge zu füllen, was dazu führte, dass fast leere Flugzeuge in Kabul starteten, während Hunderte auf ihre Evakuierung warteten? Um diese Fragen zu beantworteten, richtete der Bundestag im Juni 2022 einen Untersuchungsausschuss ein. Ein schon im Mai eingebrachter Antrag der AfD-Fraktion für die Bildung eines solchen Untersuchungsausschusses hatten zuvor alle anderen Parteien abgelehnt.
Der Untersuchungsausschuss besteht aus Mitgliedern aller im Bundestag vertretenen Fraktionen, wird allerdings geleitet von niemand geringerem als Ralf Stegner (SPD). Dieser machte in den letzten Jahren vor allem mit Pöbeleien gegen politische Gegner von sich reden. Das ausgerechnet ein Parteisoldat der SPD den Ausschuss leitet ist erstaunlich, denn einer der mutmaßlichen Hauptverantwortlichen des Debakels ist der damalige Außenminister Heiko Maas. Schon mehr als eine Woche vor dem Fall Kabuls hatte die deutsche Botschafterin in den USA, Emily Haber, ihn gewarnt, dass amerikanische Geheimdienste eine baldige Einnahme der Stadt durch die Taliban befürchteten. Doch diese Worte verhallten, Maßnahmen wurden anscheinend keine getroffen. Der Notfallplan für die Evakuierung der deutschen Botschaft in Kabul wurde ebenso erst später aktiviert. Auch der jetzige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) war damals schon als Vizekanzler beteiligt. Doch nicht nur die SPD untersucht ihr eigenes Scheitern in Afghanistan. Auch die CDU ist mit drei Mitgliedern im Untersuchungsausschuss vertreten. Wie sich das auf die Bewertung des Verhaltens von Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) auswirkt, die damals Verteidigungsministerin war, ist nicht schwer zu mutmaßen.
Insgesamt besteht der Eindruck, dass der Ausschuss eher erklären als aufklären will. Schon in der Bundestagsdebatte um den letztendlich abgelehnten AfD-Antrag machten sowohl Ralf Stegner als auch Norbert Röttgen (CDU) klar, dass es ihrer Meinung nach bei dem Untersuchungsausschuss nicht darum gehe die Verursacher des eklatanten Versagens der deutschen Evakuierungsbemühungen während des Fall Kabuls zu finden. Stattdessen wolle man, so Stegner, „gemeinsam mit den demokratischen Parteien dieses Hauses konstruktiv daran […] arbeiten und aus Fehlern […] lernen“. Röttgen pflichtete ihm bei, und betont: „Im Zentrum eines Untersuchungsausschusses steht die Beweisaufnahme. Es geht um Sachverhaltsermittlung; allein darum geht es“. Doch ist es wirklich die Aufgabe eines Untersuchungsausschusses, nur Aktenordner mit „Beweisen“ zu füllen? Eine polizeiliche Untersuchung nach einem Gesetzesverstoß begnügt sich schließlich auch nicht mit der Beweisaufnahme, sondern nutzt diese Beweise dann um möglichst schnell die Verantwortlichen zu finden.
Abgesehen von ihrem etwas seltsamen Verständnis des Untersuchungsauftrages ist es höchst fragwürdig, dass die Parteien CDU und SPD, die zum Zeitpunkt des Debakels die Regierungsverantwortung trugen, 6 der 12 Mitglieder des Ausschusses stellen. Realistisch betrachtet haben sie wohl kein besonderes Interesse daran, ihren Parteikollegen (Pardon an die SPD-Fraktion, ich meinte natürlich Parteigenossen) Fehlverhalten zu bescheinigen. Ganz im Gegenteil, die Entscheidungsmacht könnte sogar dazu genutzt werden um die Fehleinschätzungen und organisatorischen Schwächen von Maas, Kramp-Karrenbauer und Konsorten zu vertuschen. Aber auch bei Grünen und der FDP gibt es wohl leider wenig Interesse die Verantwortlichen von damals ins Visier zu nehmen, schon alleine um den heutigen Koalitionspartner SPD zu schonen.
Letztendlich bleibt nur die Feststellung: Indem man den ehemaligen Regierungsparteien so viel Macht und selbst den Vorsitz im Ausschuss gewährt, macht man in sprichwörtlicher Weise den Bock zum Gärtner. Echte Aufklärung der chaotischen letzten Wochen des Afghanistanabzugs wird es so wohl nicht geben!
Das wäre ist alles heuchlerisches Theater – an echter Aufarbeitung besteht kein Interesse. Da wäscht eine Hand die andere.
Gut, dass es wenigstens noch unabhängige junge Presse gibt!