Dosensuppen und Sex. Andy Warhol in Münster

Von Jonas Kürsch | Starkult, Dosensuppen und Sex sind nur einige der unzähligen Kernthemen, die das bis heute hochumstrittene Lebenswerk des Malers Andy Warhol prägen. Mit seinen in Massenproduktion gefertigten Druckkunstwerken und der Verwendung von sich immer wiederholenden Motiven verursachte der Urvater der Pop-Art-Bewegung unzählige Skandale. Die neue Warhol-Retrospektive des Kunstmuseums Pablo Picasso in Münster versucht die über vier Dekaden hinweggehende Schaffensphase des Künstlers im Rahmen von etwa 77 ausgewählten Werken zusammenzufassen – und vergisst dabei einige seiner kontroversesten Werke.

Wer war Andy Warhol?

Andrew Warhola (Warhols eigentlicher Geburtsname)  wird 1928 in der amerikanischen Arbeiterstadt Pittsburgh geboren. Als Kind zweier osteuropäischer Einwanderer litt er stark unter der Verarmung seiner Familie. Das Einkommen der Familie war so gering, dass seine Mutter ihm an den meisten Tagen nur mit Suppen aus warmen Wasser und Ketchup ernähren konnte. Der Verzehr einer einfachen Dosensuppe soll mehreren Quellen zufolge in der Familie Warhola schon als besonderes Festmahl behandelt worden sein. Zudem trieb ihn seine selbstempfundene Hässlichkeit bereits im jungen Alter in schwere Depressionen. Auch sein introvertiertes und schüchternes Auftreten brachte ihm schon zu Schulzeiten den Ruf eines Außenseiters und Einzelgängers ein.

Nach einem Studium der Gebrauchsgrafik zog Warhol nach New York City, dem Mittelpunkt der amerikanischen Kunst- und Literaturszene. Zu Beginn arbeitete er als Dekorateur für Schaufenster und Zeichner einfacher Werbekarikaturen, zumeist für Schuhprodukte. In diesem Zusammenhang machte Warhol auch erstmals von seiner charakteristischen Siebdrucktechnik Gebrauch, da er seine Motive schon zu dieser Zeit für das Werbematerial seiner Auftraggeber vervielfältigen konnte. Letztlich verband er diese Technik mit seiner Liebe für die kapitalistische, westliche Konsumgesellschaft der USA und begann zunächst damit die Zeichentrick-Ikonen seiner Kindheit auf die Leinwand zu bringen (u.a. Superman, Micky Maus und Pop-Eye). Die Bilder erregten jedoch kaum Aufmerksamkeit, da Warhols Pop-Art-Konkurrent Roy Lichtenstein mit seinen Malereien diese Motive schon weitaus früher in sein Werk übernommen und daher für die Kunstelite uninteressant gemacht hatte. Warhol stellte jedoch schnell fest, dass seine Liebe zum amerikanischen Konsum sich nicht nur über Comics darstellen ließ, sondern über wortwörtlich alles, was die nationale Kultur zu bieten hatte: Coca-Cola-Flaschen, Jane Fonda, Campbell’s Dosensuppen, den (späteren) Präsidenten Richard Nixon, Elvis Presley, Seifenprodukte, Marilyn Monroe, die Ermordung John F. Kennedy’s, Flugzeugunglücke, Liz Taylor und vieles mehr. 

Mit seiner Begeisterung für die Effizienz der industriellen Massenproduktion und den neuaufkeimenden Hollywood-Starkult der 1950er Jahre traf er den Zahn der Zeit. Besonders die dutzenden Siebdrucke der Dosensuppen trieben große Menschenmengen in die New Yorker Kunstgalerien und machten ihn schnell zu einem der namenhaftesten Künstler des Landes. 

Marilyn Monroe und Mao in Münster

Die Ausstellung bemüht sich darum, dem Besucher eine möglichst große Bandbreite von verschiedenen Warhol-Projekten aus unterschiedlichen Lebensabschnitten des Künstlers zu bieten. So stellen die berühmten Siebdrucke von amerikanischen Starikonen wie Marilyn Monroe, Jane Fonda und Liza Minelli zwar den offensichtlichen Höhepunkt der Retrospektive dar, doch mit den Porträts von Joseph Beuys, Mao Zedong und Johann Wolfgang von Goethe werden auch weniger bekannte Motive des Künstlers wirkungsstark in Szene gesetzt. Allerdings wird mit dem Fokus auf Warhols Porträts ein – wie ich finde – grobschlächtiger Fehler gemacht: denn Warhol war mehr als nur ein einfacher Porträtist. Zwar zeigt die Ausstellung auch eine Reihe seiner nicht-menschlichen Motive der Konsumgesellschaft, wie die berühmte Warhol-Kuh, die Suppendosen von Campbell’s und eine seine Katzenmalereien aus den 50ern. Nur gehen diese bedeutsamen Motive in der Masse leider ein wenig unter. 

Besonders verwirrend war für mich die Erkenntnis, dass viele bahnbrechende Kunstserien aus seiner Factory-Zeit überhaupt nicht (oder nur minimal) berücksichtigt worden sind. Seine skandalöse Reihe mit dem Namen “Death and Disaster“, in welcher er blutige Unfälle und andere grausame Tragödien aus der amerikanischen Nachkriegszeit verarbeitet, wurde beispielsweise zu sehr auf politisch motivierte Tragödien (z. B. die Ermordung Kennedy’s oder Rassenunruhen) reduziert. Das in der Serie zentralliegende Thema der (fast schon kommerziellen) Alltäglichkeit des Todes, wie es im Rahmen von fatalen Autounfällen oder Flugzeugabstürzen der Fall ist, wird durch die ausgewählten Werke nicht wirklich vermittelt. Die willkürlichsten und katastrophalsten Momente aus jener Serie (u.a. die Werke “129 Die in Jet!“ Oder “Car Crash“) werden vollständig ausgelassen. Gleiches gilt für seine Darstellung schwerkrimineller Verbrecher in der Serie “Thirteen Most Wanted Men“, die 1964 von amerikanischen Behörden sogar zensiert wurde. 

Wo sind Warhols Filme, Plastiken und Musik?

Ich persönlich war auch darüber enttäuscht, dass sich die Retrospektive ausschließlich auf Warhols Malereien fokussiert, die zwar einen zentralen Bestandteil seiner Arbeit ausmachen, aber definitiv nicht alles sind. Die ohne Kontext gezeigten Stummfilme von prominenten Persönlichkeiten, die mehrere Minuten lang regungslos vor der Kameralinse verharren, vermitteln ein völlig falsches Bild von Warhols filmkünstlerischen Schaffen und werden seinem provokanten Stil nicht im geringsten gerecht. Seine Kultfilme Chelsea Girls (ein Film über das Leben der bizarren Einwohner des New Yorker Chelsea Hotels) und Blue Movie (einer der einflussreichsten, pornografischen Filme aller Zeiten) wurden leider nur in einer Randnotiz erwähnt, ebenso seine bahnbrechenden Installationen Brillo-Boxes und Silver Clouds. 

Auch sein Wirken als Musikmanager und Performance Künstler wurde von den Kuratoren weitestgehend ausgeklammert. Die von ihm gemanagten “Superstars“ (z.B. die Band The Velvet Underground, das deutsche Supermodel Nico, die Schauspielerin Edie Sedgwick und viele weitere) spielten zwar in den wenigen gezeigten Filmen die Hauptrollen, ihre Bedeutsamkeit im Rahmen seines künstlerischen Weltbildes wurde dadurch allerdings nicht wirklich klar: denn laut Warhol konnte jeder ein Star sein, der sich und seine Talente in den Medien richtig zu vermarkten wusste. Außerdem hätten Musik, Plastiken und abwechslungsreichere Filme der Ausstellung gut getan, da sie Warhols Schaffen als multimedialen Künstler besser hervorgehoben hätten. 

Solide Ausstellung mit Verbesserungsbedarf

Warhol wusste den Kontrast von Schönheit und Hässlichkeit zu nutzen wie kaum ein anderer. In seinen Filmen wird diese Balance auch durch unorthodoxe Mittel und möglicherweise obszöne Darstellungen verdeutlicht, die dennoch einen berechtigten Stellenwert im Lebenswerk von Warhol besitzen. Die in Münster ausgestellten Werke bieten einen soliden Grundeinblick in das Schaffen von Andy Warhol, doch bei der Auswahl der Exponate fehlt es in vielerlei Hinsicht an Tiefe. Wer einen ersten Einblick in die Arbeit Warhols erhalten möchte, der wird bei dieser Ausstellung mit Sicherheit auf seine Kosten kommen. Wer allerdings Warhol gerne von seiner unkonventionelleren Seite kennenlernen würde, könnte durch die Exposition ein wenig enttäuscht werden.

Die Ausstellung „Andy Warhol“ ist bis zum 18. September 2022 im Kunstmuseum Pablo Picasso in Münster zu sehen. 

„Kunst ist das, womit man durchkommen kann.“

– Andy Warhol

 

Lasse Olsson / Pressens bild, Public domain, via Wikimedia Commons