Die Zukunft des Rechtsstaates – Spaltung, Aufstände, Parallelgesellschaften

Von Jonas Aston | Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Das gilt auch für die Zukunft des Rechtsstaates. Stefan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, ist um die Zukunft des Rechtsstaates „nicht bange“. Diese Sorglosigkeit finde ich gefährlich. Wenn die Weimarer Republik eins gezeigt hat, dann, dass die Demokratie nicht von einem Stück Papier verteidigt wird, sondern von Bürgern. Bürger, die auf Fehlentwicklungen hinweisen und die sich sorgen. Nur daraus können Verbesserungen resultieren. Wenn Stefan Harbarth sich also nicht für mich Sorgen machen will, dann mache ich mir eben meine eigenen.

In einer Vorlesung wurde mir neulich erläutert, dass sich ein funktionsfähiger Rechtsstaat im Kern auf zwei Elemente stützt: Macht und Legitimität. Ein guter Rechtsstaat kann also Recht durchsetzen und darauf vertrauen, dass die Bevölkerung dies auch richtig findet. Beides steht in engem Zusammenhang. So kann ein Rechtsstaat, der aus Sicht der Bürger illegitim ist, nicht mächtig sein. Der Staat stößt an seine Grenzen, wenn die Bevölkerung den Regeln nicht folgt. Die Legitimität des Staates ist umso größer, je höher das Vertrauen der Bürger in die Regierung ist.

Dieses Vertrauen hat in den vergangenen Jahren Kratzer bekommen. Finanz-, Euro-, und vor allem die Flüchtlingskrise haben Teile der Bevölkerung von der etablierten Politik entfremdet. Das wurde mit dem Aufkommen von Corona kurzzeitig durchbrochen, ist aber inzwischen viel stärker zurückgekehrt. Der Staat, von dem sich viele Bürger innerlich mehr und mehr distanzieren, rückt immer näher. Am liebsten möchte er ihnen bis unter die Haut.

Genau da beginnt die Legitimitätskrise des Staates. Trotz massiven Drucks gehorchen Millionen von Bürgern einfach nicht mehr und geben sich nicht die Spritze. Nun soll die Impfpflicht Abhilfe schaffen. Doch auch die wird das Problem der renitenten Bevölkerung nicht lösen. Sicherlich wird man mit der Impfpflicht noch einige zur Impfung bewegen können. Fraglich ist jedoch, wie man mit dem Rest umgeht. Werden diese für immer vom öffentlichen Leben ausgeschlossen? Haben sie ein regelmäßiges Bußgeld zu entrichten? Kommt ins Gefängnis, wer sich das Bußgeld nicht leisten kann oder die Zahlung schlicht verweigert? Was passiert, wenn die Kapazität der Gefängnisse ausgeschöpft ist? 

Das Bundesverfassungsgericht würde, wenn es die Impfpflicht abnickt, den Charakter des Grundgesetzes verändern. 2007 wurde entschieden, dass ein entführtes Flugzeug nicht abgeschossen werden darf. Auch dann nicht, wenn damit insgesamt mehr Menschen das Leben gerettet werden könnte. Im Zweifel überwiegt das Individual- das Kollektivinteresse. Durch die Impfung kam es bereits zu einigen bestätigten Todesfällen. Wird die Impfpflicht durchgewunken, wird zugleich das Individualprinzip des Grundgesetzes aufgegeben.

Hingegen werden sich die Ungeimpften nicht einfach ihrem Schicksal fügen. Die Frage, die bleibt, ist: Wie weit wird der Macht- und Legitimitätsverlust des Staates gehen? 

Den Ungeimpften (und Maßnahmenkritikern) könnte es durch Demonstrationen und Aufstände gelingen, die Regierung abzusetzen oder zum Rücktritt zu bewegen. Die Ungeimpften – vom öffentlichen Leben ausgeschlossen – haben nichts mehr zu verlieren und werden geradezu auf die Straße gedrängt. Andererseits sind sie die klare Minderheit und haben eine Mehrheit gegen sich, die – wenn man Umfragen trauen darf – das staatliche Handeln für richtig und legitim hält. 

Es könnte also eine Parallelgesellschaft der Ungeimpften entstehen. Dort, wo staatliches Handeln für illegitim oder realitätsfern gehalten wird, entsteht eine eigene Ordnung. Dies galt etwa für Schwarzmärkte in der DDR, aber zum Beispiel auch für den Drogenhandel in der Bundesrepublik. Etwas ähnliches könnte sich bei den Ungeimpften etablieren. Hier müsste man dann nicht nur von einem Schwarzmarkt, sondern vielmehr von einem „Schwarzleben“ sprechen. Der Ungeimpfte hat in diesem „Schwarzleben“ nur noch Kontakt zu solchen, die sich den staatlichen Anordnungen entziehen. Dies gilt für das Arbeitsleben, aber auch für das private Umfeld.

Ich habe die Befürchtung, dass diese Spaltung nur beendet werden kann, wenn eine der Gruppen ihren Standpunkt vollends aufgibt. Das Dilemma kann nur aufgelöst werden, wenn plötzlich alle Ungeimpften zur Impfung eilen oder die Politik (beziehungsweise der Teil der Gesellschaft, der hinter den Maßnahmen steht) die Ungeimpften wieder gleichstellen. Beides wird wohl nicht eintreten, da man vor einem unauflösbaren Konflikt steht. Die Ungeimpften (und Kritiker) beharren auf Prinzipien, die Befürworter beharren auf der Notwendigkeit der Situation. Es bleibt nur zu hoffen, dass Corona über Nacht verschwindet.

1 Antwort

  1. Emilie sagt:

    Vielen Dank für diesen wohlformulierten und leider so tragisch-wahren Artikel! Ich bin selbst erst 19 und verfolge die News zunehmend verständnislos. Mehr und mer wird der Eindruck vermittelt, als Ungeimpfter ein absoluter Außenseiter zu sein, der allein steht und dessen Meinung nicht zählt. Insbesondere unter den jungen Leuten treffe ich leider tatsächlich niemanden, der sich in diese Richtung positioniert (vielleicht aus Angst ausgegrenzt zu werden). Ich kenne eure wunderbare Zeitung erst seit wenigen Tagen und werde jetzt eine treue Leserin sein, die mit Interesse die folgenden Artikel verfolgen wird.

    Vielen dank dafür, dass ihr Leuten wie mir zeigt, dass es noch andere krisitsch-denkende junge Menschen da draußen gibt und wir mit unserer Meinung nicht allein sind.