Die Winnetou-Debatte: Zwischen Hitler und „weißer Identitätspolitik“

Von Marius Marx | Mittlerweile sind wir in Deutschland in Sachen woker Cancel-Culture ja schon an allerlei Absurditäten und irrwitzige Verbotsbegründungen gewöhnt, sodass man beinahe meint, von keiner absurden Hexenjagd mehr geschockt werden zu können. Doch die Debatte um mehrere Publikationen rund um den Film „Der junge Häuptling Winnetou“ hat die vorher schon schwindelerregend hohe Lächerlichkeits-Messlatte zweifellos noch um einige Zentimeter angehoben.
Entzündet hatte sich die Debatte kürzlich an der Entscheidung des Ravensburger-Verlag, den Verkauf von Winnetou-Kinderbüchern einzustellen bzw. diese zurückzurufen. Dabei handelt es sich wohlgemerkt um völlig freie Neuinterpretationen der von Karl May Ende des 1900 Jahrhunderts geschaffenen Romanwelt. Doch allein der bloße Bezug zu May reichte aus, um postkoloniale, woke aktivistische Mobs auf den digitalen Plattformen gegen die Bücher und den Verlag zu mobilisieren. Ravensburger knickte schließlich ein und begründet seinen ungewöhnlichen Schritt nun mit „vielen negativen Rückmeldungen“ und erheblicher Kritik und Rassismusvorwürfen in den sozialen Medien. Dort hätten Kommentare gezeigt, dass „wir mit dem Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt haben“. Zudem verbreite das Buch unzulässige und „verharmlosende Klischees“ und zeichne ein „romantisierendes Bild“ von „der geschichtlichen Wirklichkeit der indigenen Bevölkerung“, das weit davon entfernt sei, „wie es der indigenen Bevölkerung tatsächlich erging“.
Diese Argumentation erscheint umso abstruser, hält man sich vor Augen, dass dem Werk sogar extra ein Disclaimer für hypersensible Zeitgenossen vorangestellt würde, der klarstellt, dass das Buch nicht als historisch korrekte Darstellung des Lebens indigener Völker, sondern viel mehr als fiktive Geschichte zu verstehen sei. Völlig zurecht erklärte deswegen der Kunstpädagogikprofessor und Karl May-Experte Andreas Brenne, dass es falsch sei „ein solches Buch nur aufgrund eines Shitstorms aus dem Verkehr zu ziehen“ und warnte vor dem Vorwurf der kulturellen Aneignung, der „schon das Verkleiden als Indianer (…) als rassistischen Akt“ brandmarke.
Auch die Karl-May-Gesellschaft e. V. und Karl-May-Stiftung haben entschieden Stellung gegen den Verkaufsstopp der Winnetou-Artikel – ebenfalls betroffen sind ein Winnetou-Puzzle sowie eine Erstleserbuch – bezogen. In einem gemeinsamen offenen Brief verteidigen sie die Werke Karl Mays und betonen, dass seine Besonderheit gerade darin bestehe, „dass in seiner Darstellung des ›Wilden Westens‹ von Anfang an die Sympathie des Erzählers der leidenden indigenen Bevölkerung“ gelte. Und weiter: „Ihre Würde und ihre menschlichen Qualitäten verkörpern sich in Idealfiguren wie Winnetou, dem Häuptling der Apachen, und die tragische Vernichtung ihrer materiellen und kulturellen Existenz grundiert alle May’schen Nordamerika-Erzählungen“. Außerdem könne nicht bezweifelt werden, dass er durch seine Werke „über mehrere Generationen hinweg als Erzieher zu Toleranz und Weltoffenheit gewirkt“ hat.
Zu dieser Einsicht konnten sich der woke politische Mainstream und die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten gemäß ihres „progressiven“ Weltbildes freilich nicht durchringen. Ganz im Gegenteil: So teilte die „ARD“ auf Anfrage der „BILD“ mit, dass der Sender bereits vor zwei Jahren die Film-Lizenzen auslaufen lies und fortan keine Winnetou-Filme mehr zeigen werde. Nina Paysen in ihrer Funktion als „Sandmännchen“-Redakteurin beim RBB ging sogar noch weiter und kündigte an, keine Folgen mehr ausstrahlen zu wollen, in denen das „I-Wort“ benutzt werde.
Die deutschen Winnetou-Fans und Bücherliebhaber zeigen sich von alldem offensichtlich ziemlich unbeeindruckt: Ebenso wie im Rahmen der Layla-Debatte – als ich deswegen noch halbironisch weitere Verbote forderte – scheint gerade der Rückruf und die sich daran anknüpfende Debatte die allgemeine Beliebtheit der Werke noch zu steigern. So ist die Ausgabe der drei Winnetou-Bände – wohlgemerkt im Anaconda-Verlag – Amazon Bestseller und dort nach wie vor das meistverkaufte Buch in der Kategorie „Wildwestromane“.
Dennoch bleibt letztlich die wenig erfreuliche Feststellung, dass fanatische, woke aktivistische Mobs auf Instagram und Twitter mittlerweile bereits in der Lage sind ganze Verlage und dessen Unternehmenspolitik nachhaltig zu beeinflussen. Und diese Entwicklung ist gefährlich. Denn wenn jetzt plötzlich die (geschichts-)wissenschaftliche Präzision und ein modernes Verständnis politischer Korrektheit zum obersten Gütekriterium jahrhundertealter Klassiker der europäischen Literatur erhoben wird, stellt sich nicht mehr die Frage, welche Bücher deswegen vom Markt genommen werden sollten, sondern welche überhaupt gelesen werden dürfen. Gott behüte uns vor dem Tag, an dem diese Leute in den Werken abendländischer Geistesgrößen wie Schiller, Goethe oder Lessing heute verpönte Wörter wie „Muselmann“, „Mohr“ „Neger“, „Zigeuner“, „Rasse“ oder „Volk“ ausfindig machen und daraus ihre bekannten Schlüsse ziehen.
Gespannt darf man dann auch darauf sein, wann Konzerte der deutschen Pop-Band „Pur“, die mit dem Song „Indianer“ einen ihrer größten Erfolge gefeiert hat, das erste Mal Gegenstand woker Boykottforderungen wird.
Aber zurück zu Winnetou und Karl May: Den Vogel in der aufgeheizten Debatte vollständig abgeschossen hat zweifellos ein „Experte“ der beim „Bayerischen Rundfunk“ zu Wort kommt: Der Hamburger Kolonialismus-Forscher Jürgen Zimmerer bringt dort das unwahrscheinliche Kunststück fertig, Karl May gewissermaßen zum gedanklichen Vorreiter der nationalsozialistischen Ideologie vom „Lebensraum im Osten“ zu erklären und eine direkte Verbindung von seinen Werken zur NS-Ostbesatzungspolitik herzustellen. Zimmerer hält die Winnetou-Reihe außerdem nicht nur für durch und durch rassistisch, sondern überdies auch für antisemitisch, frauenfeindlich und natürlich durch „weiße Identitätspolitik“ geprägt. Und als wäre das alles noch nicht genug, holt er dann die ganz dicke Keule raus und behauptet: „Es ist kein Zufall, dass Adolf Hitler und SS-Chef Himmler große Karl-May-Fans waren“.
Bei solch einer stichhaltigen Beweisführung bleibt mir mit Gedanken an alle Liebhaber der Bayreuther-Festspiele nur noch übrig, zu wünschen, dass bloß nicht publik wird, dass Hitler neben May- auch ein glühender Wagner-Fan war. Und für meine zahlreichen vegetarischen Freunde hoffe ich, dass die Tatsache, dass Hitler Vegetarier war, in Zukunft möglichst nicht allzu hohe Wellen schlagen wird. Wir wollen doch schließlich nicht, dass der Vegetarismus noch durch Hitler in ein schlechtes Licht gerückt wird oder gesellschaftlich in Ungnade fällt.
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