Die Rache an meiner Klassenlehrerin 

Von Jonas Aston | Liebe Frau, nennen wir sie einfach mal Ernst, es ist jetzt schon über drei Jahre her, dass Sie mich in einer Klausur vollkommen unberechtigt mit 3 Punkten bewerteten. Für jeden, der mit dem Punktesystem nichts anfangen kann: 3 Punkte entsprechen einer 5+. Sie haben die ganze Angelegenheit vermutlich schon längst verdrängt. Doch ich habe nichts vergessen und jetzt kommt meine Rache!

Aber ganz von Anfang: Frau Ernst ist Deutschlehrerin und war zugleich meine Klassenlehrerin. Außerdem ist sie Inhaberin einer Buchhandlung. Durch diese Kombination konnte sie ein ausgeklügeltes System des modernen Raubs entwickeln. Jedes Schuljahr mussten wir mindestens 5 Bücher lesen. Wesentlich mehr als vom Lehrplan verlangt. Frau Ernst versetzte der Lehrerberuf in die aus Unternehmersicht traumhafte Situation, Angebots- und Nachfrageseite kontrollieren zu können.

Freundlich wie Frau Ernst ist, bat sie uns natürlich an, die Bücher in ihrer Buchhandlung zu besorgen. So eine Schulstunde konnte sich dann schon mal lohnen. Erst das Beamtengehalt absahnen und ganz nebenbei noch 30 Bücher verticken. Gott sei Dank bin ich während der Corona-Zeit nicht mehr zur Schule gegangen. Ihre quasi-mafiösen Strukturen dürfte Frau Ernst während der Lockdowns noch weiter ausgebaut haben. Irgendwer muss schließlich die Verluste kompensieren. Natürlich hätte man die Bücher auch woanders kaufen können. Der Kaufpreis wirkte jedoch als eine Art Schutzgeld. Ein „Fremdkauf“ konnte die Aussicht auf gute Noten schon mal schmälern.  

Doch obwohl ich – wenn auch genötigter – Stammkunde bei Frau Ernst war, konnte mir selbst das einmal nicht die Note retten. Es war Klausurenphase und wir hatten die Aufgabe ein Essay zu schreiben. Unter einem Essay verstand meine Lehrerin eine humorvolle, gerne auch derbe und unsachliche Abhandlung. Das Thema kannten wir im Vorhinein nicht. Als dann unsere Handys eingesammelt wurden, verkündete meine Lehrerin, dass wir über die Schule schreiben sollten. Ich erkannte dies als einmalige Gelegenheit zur Generalabrechnung mit dem Bildungssystem. Ich zog über diverse Lernmethoden her, beklagte das abfallende Niveau und bezeichnete den Lehrkörper als „leeren Körper“, der oftmals demotiviert seinen Unterricht abhält. Nach einigen Stunde war Abgabe und ich war mit meinem Text ziemlich zufrieden. Nur Frau Ernst fand meinen Essay leider so gar nicht witzig.

Das Bewertungsblatt war mit Rotstift so zugekleistert, wie ich es sonst nur von den Berliner Wahlunterlagen kenne. Schon an der Überschrift störte Frau Ernst sich. Sie lautete: „ `Deutschland schafft sich ab` – Das Ende der Bildungsrepublik“. Dies sei ein Plagiat, so befand Frau Ernst. Schließlich stamme der Satz von Thilo Sarrazin und nicht von mir. Ich hatte jedoch „Deutschland schafft sich ab“ in Anführungszeichen geschrieben und mir damit eben nicht zu eigen gemacht. Doch dabei beließ es Frau Ernst – konkret knallte sie mir im Bewertungstext entgegen: „Die Überschrift ist ein Plagiat. Genauso wie vermutlich weitere Teile des Textes und entspricht nicht deinem Sprachvermögen. 3 Punkte.“ Zur Erinnerung: Wir mussten unsere Handys abgeben und kannten nicht einmal das Klausurthema. Meine Freunde meinten scherzhaft zu mir, ich solle beim nächsten Mal einfach dümmer schreiben. Ich wollte es dabei allerdings nicht belassen.

Also bat ich meine Lehrerin um ein Vier-Augen-Gespräch. Wie für Clanchefs üblich wollte sich Frau Ernst mit mir aber nicht an einem neutralen Ort – wie etwa der Schule – treffen. Während Arafat Abou-Chaker und Ashraf Rammo ihre Handlanger in ihre Cafes oder Shisha-Bars einladen, bestellt Frau Ernst ihre Schüler in die Buchhandlung ein. Dort vermittelte ich ihr meinen Standpunkt. Sie erklärte mir dann ruppig, dass ich noch einen anderen Lehrer gegenlesen lassen könne und die Noten dann verrechnet werden. Wirklich Recht war mir das allerdings nicht. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sich die verschworene Deutschlehrerschaft gegenseitig in die Pfanne haut. Und selbst dann wäre die Note immer noch nicht wirklich gut geworden. Am Ende stand ein sogenannter „Kompromiss“ und ich durfte bzw. musste ein Gedicht aufsagen, welches dann mit meiner Klausurnote verrechnet wurde. Insgesamt bekam ich schlussendlich 9 Punkte, was einer 3+ entspricht. So richtig glücklich war ich auch damit nicht, aber mehr war nicht zu holen.

Frau Ernst unterrichtet heute noch immer und auch noch heute dreht sie Schülern Bücher an, die diese niemals lesen werden. Ich hoffe auf eine baldige Bücherrazzia bei Frau Ernst, damit ihr schmutziges Geschäft ausgetrocknet wird.