Die magische Kraft des Wortes
Von Jonas Aston | Die Sprache ist das Machtinstrument der Moderne. und ihre Macht wächst in Zeiten von social Media und Co ständig an. Mit den Mitteln der Sprache ist es Herrschenden möglich Vorhaben umzusetzen, die bei klarer Benennung auf massivste Ablehnung der Bevölkerung stoßen würde
Freud beschreibt die wichtige Rolle, die die Sprache bei der Gestaltung des Tabus spielt. Freud zeigt, wie in vielen Völkern tabuisierte Gegenstände, Sachverhalte und Personen immer wieder neu benannt werden, als ob das Unerwünschte, das Negativ konnotierte einfach ausradiert werden könnte. Wo immer Umbenennungen oder Umbenennungsversuche stattfinden, zeigt sich darin immer eine Ambivalenz gegenüber dem entsprechenden Begriff oder dem entsprechenden Sachverhalt. Politiker verwenden heute gerne Tabuwörter im umgekehrten Sinne. So werden unpopuläre Themen oft unter einen Tabu-Begriff subsumiert, um unbequeme Fragen und Schlussfolgerungen gar nicht erst aufkommen zu lassen oder zumindest in ein moralisch fragwürdiges Licht zu rücken. So wird regelmäßig der „Rassismus“-Vorwurf ins Feld geführt. Dieser wird regelmäßig eingesetzt, um Debatten über gruppenbezogene Unterschiede zu verhindern und sie ins moralische Abseits zu stellen. Angela Merkel bediente sich 2010 desselben Effekts, als sie erklärte: „Wenn der Euro scheitert, scheitert Europa. Wer sich also nicht hinter die Ziele der Regierung stellte, gegen den Euro war oder auch nur die Euro-Rettungsschirme nicht wollte, dem musste eine antieuropäische Haltung bescheinigt werden.
Und hier stößt man auf eine weitere Möglichkeit der mentalen Bevormundung der Bürger durch Sprachsteuerung. Der Begriff „Euro-Rettungsschirm“ ist ein euphemistischer Neologismus. Der Begriff suggeriert, dass ein Staat gerettet wird, der unverschuldet auf hoher See in Schwierigkeiten geraten ist. Der englische Begriff „bail-out“, der der Realität viel näher kommt, weist jedoch genau in die entgegengesetzte Richtung. Der Begriff suggeriert, dass der Staat selbst für seine missliche Lage verantwortlich ist und sich möglicherweise sogar strafbar macht. Mit Hilfe dieser beiden sprachlichen Tricks konnte Merkel letztlich ihre Euro-Politik durchsetzen.
Gustave Le Bon schreibt in „Psychologie der Massen“: „Man könnte eine höhere Pyramide als die des alten Cheops aus den Knochen der Menschen bauen, die allein der Macht der Worte zum Opfer gefallen sind“. Und weiter: „Die Macht der Worte ist mit den Bildern verbunden, die sie hervorrufen, und völlig unabhängig von ihrer wahren Bedeutung.“ Worte wie Demokratie, Sozialismus, Gleichheit, Freiheit oder auch Gerechtigkeit seien besonders wirkungsvoll, sagte er. Die Interpretation dieser Schlagworte gehe so weit, dass man mit ihnen alles und auch nichts fordern könne. „Und doch haftet ihren kurzen Silben eine geradezu magische Kraft an, als enthielten sie die Lösung aller Fragen.“ Die Bilder und Erwartungen, die die Menschen mit diesen Schlagwörtern verbanden, sind völlig flexibel. Die Wörter, aus denen eine bestimmte Sprache besteht, verändern sich nur sehr langsam. Die Bilder und Assoziationen, die die Bürger mit den verschiedenen Begriffen verbinden, ändern sich jedoch ständig.
Le Bon zufolge ist es nicht möglich, Texte im strengen Sinne zu übersetzen, vor allem nicht solche, die aus einer völlig anderen Kultur stammen oder weit in die Vergangenheit zurückreichen. Die Menschen versuchten, die Römer und die alten Griechen zu imitieren und gaben den Wörtern eine Bedeutung, die sie ursprünglich nicht hatten. Unter Republik verstanden die alten Griechen eine im Wesentlichen aristokratische Masse, die über breite Schichten herrschte. Vaterland bedeutete für die Griechen die Verehrung Spartas oder Athens, aber nicht des gesamten Griechenlands, das auch aus verschiedenen Stadtstaaten bestand. Auch die Freiheit muss für die Griechen eine andere Bedeutung gehabt haben. So wurde beispielsweise Kritik an den Göttern als „Blasphemie“ bestraft. In die gleiche Richtung gehen die Ausführungen von Oswald Spengler. Er trifft eine klare Unterscheidung zwischen Sprache und Rede. Er schreibt: „Wir kennen die ägyptische Sprache, aber nicht die ägyptische Rede. Wir kennen aus dem Latein der augusteischen Zeit ungefähr den phonetischen Wert der Buchstaben und den Sinn der Worte, aber wir wissen nicht, wie eine Rede Ciceros aus der Rosta klang, und noch weniger wissen wir, wie Hesoid und Sappho ihre Verse sprachen und wie ein Gespräch auf dem Markt von Athen klang.“ Die Bedeutung von Worten ist flüchtig, die Bilder, die sie hervorrufen, sind einem ständigen Wandel unterworfen.