Die lang vergessenen Filme aus Weimar

Von Anna Graalfs | Was tun drei Freunde, wenn ihnen Haus und Möbel gepfändet werden und vom Vermögen nicht mehr viel übrig ist? Sie verkaufen ihren Wagen und eröffnen eine Tankstelle namens „Kuckuck”. Dann verliebt sich einer in ein reiches Mädchen – Pech nur, dass sich seine zwei besten Freunde auch in sie verlieben… Das hat uns der deutsche Musicalfilm „Die Drei von der Tankstelle” gelehrt. Bevor jemand anfängt zu diskutieren: Das Original von 1930 unter der Regie Wilhelm Thieles bleibt als einzige Version für immer im Gedächtnis. Traurig ist allerdings, dass viele andere deutsche Filmdiamanten dieser Zeit mittlerweile in Vergessenheit geraten sind. Selbst „Die Drei von der Tankstelle” ist heutzutage nicht mehr so sehr Kult wie es sich wahre Film-Lover erhoffen. Es wird also gewaltig Zeit, den Apollo-Lesern das Kino der Weimarer Republik näherzubringen!
Ein Geschäft entsteht
Schon zur Zeit des ersten Weltkriegs boomte das Kinogeschäft in Deutschland. Als aber 1929 mit dem Film „Ich küsse Ihre Hand, Madame” das Tonfilmzeitalter beginnt, sind die Kinos prall gefüllt wie noch nie – und das trotz der Weltwirtschaftskrise! 1927 stand die Universum-Film-AG (UFA), das Weimarer Filmimperium, noch kurz vor dem Bankrott, wurde aber von Politiker und Unternehmer Alfred Hugenberg aufgekauft. Dieser konnte dann die kapitalintensive Umstellung auf Tonfilme wagen, auch wenn Technik und Raumakustik noch in den Kinderschuhen steckten.
Doch neben den wenigen erfolgreichen Filmgesellschaften, lebt man in Armut: Die Masse der Menschen verliert ihre Arbeit – darunter auch massenhaft Berufsmusiker, die vor der Einführung des Tonfilms in Kinos musiziert hatten. Wie kann es aber sein, dass die Kinobesucherzahlen in die Höhe schießen, während die Bürger sich kaum noch über Wasser halten können? Vielleicht bedingten sich diese beiden Beobachtungen ja gegenseitig: Ich kann mir gut vorstellen, dass man, wenn man nicht mal mehr weiß, was es am nächsten Tag zu essen gibt, doch noch die letzten Groschen für den Kinobesuch ausgibt. Um eben zumindest für eine knappe Stunde in eine andere Welt einzutauchen, die gepuderten Filmstars zu bewundern und den eigenen Problemen zu entfliehen.
Zu der Zeit hat Deutschland die meisten Kinos in ganz Europa – für das Jahr 1930 wurde die Anzahl auf etwa 5000 geschätzt – und lockt täglich um die zwei Millionen Menschen in die Kinos. Die Jahresproduktion beläuft sich auf 200 bis 500 Filme im Jahr – ein Filmgeschäft, das an Größe nur noch von Hollywood übertroffen werden kann. Doch auch die Qualität des Großteils der Filme ist mit Hollywood-Kreationen jener Zeit vergleichbar. So zum Beispiel auch „Der Blaue Engel” unter der Regie von Josef von Sternberg.
Marlene Dietrich wird nach Hollywood katapultiert
„Der Blaue Engel” ist der Film, der Marlene Dietrich berühmt machte und sie nach Hollywood katapultierte. Dietrich? Ja genau, das ist die Schauspielerin, die Hosenanzüge für Frauen salonfähig gemacht hat. „Der Blaue Engel“, angelehnt an Heinrich Manns Roman „Professor Unrat” aus dem Jahr 1905, handelt von Professor Rath, der mit viel Sittenstrenge an einem Jungengymnasium unterrichtet. Im Variété „Der Blaue Engel”, wo sich seine Schüler gerne aufhalten, begegnet er der verführerischen Lola Lola (Marlene Dietrich) und verliebt sich in sie – trotz aller Unterschiede zwischen den beiden.
Der Film zeigt was passiert, wenn bürgerlicher Anstand und freie Frivolität aufeinandertreffen. Den ganzen Film über ist Lola Lola in geschmeidigen, glänzenden Kostümen verhüllt – sie wirkt geradezu wie die Traumfrau aller Männer. Die Kinematografie untermalt das so gut wie keine andere: Das Spiel mit Licht und Schatten setzt Lola perfekt in Szene und immer wieder ist sie in Spiegeln, auf Postkarten, Plakaten und Fotos zu sehen. Alles verstärkt den Eindruck, dass sie vielleicht nicht real, sondern nur ein geheimnisvolles Wunschbild der Männer ihrer Zeit ist. Genau das wird dem Professor zum Verhängnis: In seiner wahnhaften Liebe zu Lola gibt er sein bürgerliches Leben auf und verliert schließlich alles.
Ähnlich wie das „Pre-Code-Cinema“ in den USA zur gleichen Zeit, entstehen im Weimarer Kino die fortschrittlichsten Gedanken der deutschen Filmgeschichte. Die neuen Möglichkeiten in Ton und Technik bringen einen Überfluss an experimentellen Gesellschaftsbildern mit sich. So festigt sich beispielsweise das Bild der berufstätigen Frau – im Stummfilm „Die Menschen am Sonntag” (1930) sind Frauen Mannequin, Verkäuferin oder Friseurin – nebenbei wird die „femme fatale” mit ihren überaus verführerischen Reizen als ständige Gefahr für Männer inszeniert.
Im Weimarer Kino ist aber auch Platz für politische Ansätze und Beobachtungen innerhalb der neuen, industrialisierten Gesellschaft – das macht unter anderem der Kultfilm „Metropolis” (1927) von Fritz Lang sichtbar. Hier werden die Eindrücke einer futuristischen Großstadt auf expressionistische Art verarbeitet – ganz nebenbei entsteht das Fundament für das Science-Fiction-Genre. Der Dreh des zweieinhalb-Stunden langen Filmes dauert ungefähr eineinhalb Jahre und kostet die UFA satten 5,3 Millionen Reichsmark. Die Produktion ist Hauptgrund dafür, dass die UFA damals vor dem finanziellen Ruin liegt – als der Film in die Kinos kommt, hagelt es erstmal eine Menge Kritik. Der Berliner Börsen-Courier schreibt: „Immer wird mit Gefühlsphrasen gearbeitet. Schrecklich. Ein sachliches Thema grausam verkitscht. “ Aber Filmhistoriker – und (meiner Meinung nach) jeder, der sich den Film heute anschaut – können nur feststellen: „Metropolis“ ist ein gigantisches Meisterwerk.
Der gewaltige Ideenreichtum und dessen künstlerische Umsetzung zu jener Zeit sind mit dem (deutschen) Kino von heute überhaupt nicht mehr zu vergleichen. Verblüffend ist hierbei vor allem, dass heitere Musicalkomödien wie „Ein Blonder Traum” (1932) zehn Mal mehr Lebensfreude vermitteln, als die meisten Filme von heute es überhaupt beabsichtigen: Und dass, obwohl die Filme in der größten Krisenzeit der Weimarer Republik entstanden sind.
Das Ende naht
Der Weimarer Filme sterben mit der Republik. Zur Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 werden dutzende der Weimarer Filme verboten und durch das neue Genre des Propagandafilms ersetzt. Die meisten der Weimarer Filme sind der NS-Regierung zu liberal, sie fördern das eigene Denken. Außerdem wird die Frau nicht stets in der Mutterrolle gezeigt, sondern – wie in „Die Drei von der Tankstelle” – als selbständig und frei, mit einem eigenen Auto. Noch vor Ausbruch des Krieges werden durch die „Filmoberprüfstelle” mehrere dutzend Filme der späten Zwanziger- und frühen Dreißigerjahre verboten. Darunter auch die meisten der Komödien und Operetten, wie „Die Drei Von der Tankstelle” (1930) und „Der Kongreß Tanzt” (1931), die paradoxerweise gerade kurz vor dem Untergang der Weimarer Republik ihre Blütezeit hatten.
Aber nicht nur die Filme geraten in Gefahr, sondern auch die an ihnen beteiligten Personen. Viele der jüdischen Filmschaffenden werden von den Nazis ermordet, so stirbt auch Starschauspieler Otto Wallburg 1944 in Ausschwitz. Andere fliehen rechtzeitig ins Ausland und beenden ihre Karriere. Nur wenige setzten sie dort mit großem Erfolg fort, wie zum Beispiel Regisseur Ernst Lubitsch, der bereits in den Dreißigerjahren viele Screwballkomödien in den USA produziert. Der in „Menschen am Sonntag” mitproduzierende Billy Wilder schafft es in Hollywood mit Filmen wie „Some Like It Hot” und „The Apartment” gut zwanzig Jahre später zum großen Durchbruch.
Insgesamt sind es rund 1500 Filmschaffende, die nach der Machtübernahme aus Nazideutschland fliehen. Mit ihnen geht eine goldene Ära des deutschen Kinos vorbei, von der heute kaum noch jemand gehört hat. Umso wichtiger ist es, die Weimarer Filme rund hundert Jahre später wieder auf die Leinwand und Heimkino-Bildschirme zu bringen. Anders als viele der heutigen deutschen Filmproduktionen beweisen sie: Das Kino Deutschlands hatte einmal richtig was im Kasten!
Vielen Dank für die Anregungen, sich mal älteren Filmen zu widmen.
Schwarz-Weiß hat ja sowieso immer noch einen besonderen Reiz. Es schränkt die Reizüberflutung ein und lenkt den Blick auf das Wesentliche. Das dient ja auch dem Filmgenuss.
Beste Grüße, Marcel Arndt