Die Ära des Aufbruchs: In den politischen Widerstand!

Von Sarah Victoria | Willkommen 2022! Ein neues Jahr hat begonnen, voller neuer Möglichkeiten. Doch gerade freiheitlich gesinnte Menschen spüren, dass diese Möglichkeiten vor allem neue Virusvarianten, neue Ampelstände oder neue Verbote bedeuten. Begleitet von einer brandneuen Bundesregierung und, man glaubt es kaum, einem neuen Kanzler. Doch keine Sorge, bei so viel Veränderung ist auch etwas gleich geblieben. Das politische Narrativ der Pandemie-Jahre wird auch vom neuen Kanzler fürsorglich übernommen, das „Wir schaffen das“ aus der Merkel-Ära als gekürztes „Wir“ weitergeführt, das in jedem zweiten Satz vorkommt. Wir halten zusammen, wir haben Respekt, wir lassen uns impfen. Wer zu diesem wir gehört, wird demnächst verraten. In seiner Neujahrsansprache spricht Olaf Scholz vom Jahrzehnt der Aufbrüche und bereitet uns alle schon einmal auf radikale Reformen vor. Der größte Wirtschaftsumbau seit mehr als 100 Jahren, das Erreichen der Klimaneutralität bis 2045 und nicht zuletzt der Sieg über Corona – und das alles soll schon 2022 angegangen werden. Doch vor dem Aufbruch in diese durchgeplante Zukunft möchte ich einen kurzen Blick in die Vergangenheit werfen.

Vieles hat sich 2021 verändert und das meiste nicht im liberalen Sinn. Vor einem Jahr war das Thema Impfpflicht noch eine Verschwörungstheorie, heute ist sie medial salonfähig und auch schon Realität. Einen weiteren Lockdown wird es nicht geben, hieß es – und der weitere Lockdown war da. Nur noch einmal durchhalten, wurde gesagt – doch bis zur nächsten Welle gemeint. Intuitiv lässt das bei mir nicht nur ein Warnlicht angehen, nein, das ganze innere Amaturenbrett blinkt in schrillen Farben und schreit Gefahr. Ich finde Politik, die Wortbruch betreibt und immer mehr ins Private eingreift, ist willkürlich und trägt das Potential in sich, riskant zu werden. Riskant für Freiheitsrechte, für Menschenrechte und die theoretischen Fundamente unseres politischen Systems. Und auch wenn ich weiß, mit diesen Sorgen nicht alleine zu sein, fühlt man sich als Mensch mit liberalem Gedankengut manchmal wie ein Alien. Zwar begleitet mich dieses Gefühl schon länger als Corona die Politik, aber gerade dieses Jahr wurde es noch einmal stärker. Ich kann nicht anders, als ständig ein „aber“ einzuwerfen, wenn die neuen Maßnahmen verkündet werden. Mich zu empören, wenn ich Berichte aus Kinder- und Jugendpsychatrien lese. Während andere Menschen es hinnehmen können, dass sie für ihre Weihnachtseinkäufe den Impfpass einscannen müssen, stehe ich ungläubig daneben und frage mich, seit wann Ladenbesitzer Mitarbeiter des Gesundheitsamts geworden sind. Ich bin gefühlt eines nachts als unbescholtener Bürger eingeschlafen und im politischen Widerstand aufgewacht.

Doch ich meine, nicht der erste Mensch zu sein, dem so etwas passiert ist. Der Wunsch nach Freiheit führte schon den ein oder anderen liberalen Denker in den politischen Widerstand, von denen wir jetzt lernen dürfen. Ein Beispiel hierfür ist etwa Walter Eucken, einer der wichtigsten Theoretiker des Ordoliberalismus, also einer der Denkschulen, auf denen unser Wirtschaftssystem – also zumindest bis jetzt – beruht. 1891 geboren, erlebte er beide Weltkriege, den ersten als Soldat an der Westfront, den zweiten als oppositioneller Wissenschaftler.  In einem Zeitschriftsartikel rezensierte Eucken die Rede des DVP-Abgeordneten Otto Most. Ein Satz, den ich nicht vergessen konnte, lautete: Es gilt, die Freiheit der Persönlichkeit zu erkämpfen und zu vertreten gegen die Diktatur der Masse.“ Dieses Zitat stammt aus dem Jahr 1925 und wird bald 100 Jahre alt.

Walter Euckens Vater, Philosoph und Literaturnobelpreisträger Rudolf Eucken, diagnostizierte der neuen Epoche schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine tiefe Sinnkrise.  Während sich die meisten Menschen zu Beginn des neuen Jahrhunderts gefestigt fühlten, sprach er schon um 1900 von einem nahenden Erdbeben, das die Welt erschüttern würde. Warnhinweise sah er etwa in der umgreifenden Widersprüchlichkeit in politischen, ökonomischen oder kulturellen Fragen, die durch die Zersplitterung der sich modernisierenden Welt entstanden. Was er zu dem Zeitpunkt noch nicht wissen konnte – dieses Erdbeben war erst der Auftakt für die krisenreiche erste Hälfte des neuen Jahrhunderts.

Rudolf Eucken starb 1926 und erlebte die Krise des Nationalsozialismus nicht mehr. Sein Sohn Walter Eucken bildete 1938 zusammen mit anderen Gelehrten den Freiburger Kreis, ein Gesprächskreis, in dem Oppositionelle Ideen diskutierten. Mitglieder waren (ordo)liberale Wirtschaftswissenschaftler, aber auch Christen, Historiker und Juristen. Ihre Einfälle prägten die Nachkriegsordnung maßgeblich, die soziale Marktwirtschaft etwa geht aus den theoretischen Vorarbeiten des Gesprächskreises hervor. Walter Eucken warnte in seinen Schriften oft vor der Auslöschung der Persönlichkeit durch kollektives Denken. Er kritisierte, durch die völlige Vereinnahmung des Einzelnen durch den Staat eine vermeintliche innere Einheit finden zu wollen. Aufgabe des Staates solle es eher sein, die freie Sphäre des Privaten auszuweiten und gegen Eingriffe des Staates zu schützen. Euckens Wunsch war es, Menschen selbstverantwortlich leben zu lassen. Dieser Wunsch nach Selbstverantwortung ist der Grundstein des liberalen Denkens. Er findet sich in den Ursprüngen des klassischen Liberalismus bei Immanuel Kant oder John Locke, in John Stuart Mills Verfassungsliberalismus, im Wirtschaftsliberalismus von Adam Smith, Ludwig Mises oder Friedrich von Hayek oder auch bei Walter Eucken. Die Selbstverantwortung ist der rote Faden der liberalen Tradition.

Und Widerstand muss nicht heißen, als hauptberuflicher Aktivist durch das Land zu ziehen. Widerstand fängt bereits im eigenen Denken an.

Ich persönlich nehme aus diesem Rückblick vor allem zwei Erkenntnisse mit: Zum einen fühle ich mich in meinem unguten Gefühl bestätigt, dass die Freiheit im Moment wirklich in Gefahr ist. Seien es paternalistische Züge der Politik, kollektivistische Muster oder das Einführen neuer Dogmen – die Lage ist ernst, die Krise ist da. Daraus ergibt sich aber die schönere zweite Erkenntnis: Krisen sind Chancen. Auch wenn es oftmals bitter ist zu beobachten, wie Fundamente wegbrechen, bietet sich dadurch auch die Chance für einen Neuanfang. Gerade jetzt hat liberales Gedankengut die Chance, sich wieder Gehör zu verschaffen. Und Widerstand muss nicht heißen, als hauptberuflicher Aktivist durch das Land zu ziehen. Widerstand fängt bereits im eigenen Denken an. Kants Spruch der Aufklärung lautete: „Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Und auch, wenn er der französischen Revolution kritisch gegenüberstand und sich mit Handlungsanweisungen zurückhielt, lässt sich darin der Kern des politischen Widerstands finden. Und der ist ganz simpel: Selber denken und sich selbst reflektieren. Denn erst wenn ich meine eigene Position kenne, kann ich diese auch kommunizieren und auf das Gegenüber eingehen.

Welche Handlungsschlüsse der Einzelne daraus zieht, ist ihm natürlich selbst überlassen. Jeder hat andere Komfortzonen und Voraussetzungen, um für die eigene Überzeugung einzustehen. Während die einen ihre Freunde selbst ohne Impfausweis zur Haustür reinlassen, gehen andere alle paar Tage auf eine Demonstration, während wieder andere eine ganze Bewegung gegründet haben. Es kommt vor allem darauf an, die eigene Integrität so gut es geht  zu schützen und sich nicht aufzugeben. Die 2020er Jahre als Aufbruch in den politischen Widerstand. Wahrscheinlich nicht ganz die Intention von Olaf Scholz, aber für das Fortbestehen der Freiheit unerlässlich. Denn auch wenn so mancher Politiker alles dafür gibt, die Pandemie so lange wie möglich am Leben zu erhalten –  ihre Dauer ist begrenzt, sie wird eines Tages vorbei sein. Und davor haben wir die Chance, schon einmal unsere Immunität gegen politische Willkür zu stärken und darüber nachzudenken, wie es in einer Zeit ohne Pandemie weitergehen soll.

4 Antworten

  1. moneypenny sagt:

    Schöner, mutmachender Artikel – danke dafür!
    PS: Wie es Walter Eucken schaffte, die NS-Zeit in Deutschland zu überleben, war mir immer ein Rätsel. Glück? Potente Beschützer?

  2. Für einen jungen Menschen ein außerordentlicher Aufsatz, der bereits ein umfangreiches Studium durchscheinen läßt. Mein Kompliment.

  3. Helmut sagt:

    Grossartiger Artikel, die derzeitige Politik und Lage auf den Punkt gebracht.

  1. 2. Januar 2022

    […] Die Ära des Aufbruchs… in den politischen Widerstand! — Apollo News […]