Der WDR erklärt „Freiheit“ zur Floskel des Jahres 2022
Von Boris Cherny | In den vorangegangenen Jahren ist es zunehmend zu einer deutschen Tradition geworden, dass alle paar Wochen irgendein Journalist des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks in ein Fettnäpfchen tritt. Auch das neue Jahr beginnt mit einem weiteren Fauxpas.
Die Floskelwolke ist ein Projekt zweier Journalisten, Sebastian Pertsch und Udo Stiehl, der dazu auch noch freier Mitarbeiter bei WDR und Deutschlandfunk ist. Die Organisatoren der Floskelwolke sehen sich als hochintellektuelle Gesellschaftskritiker, weshalb sie jährlich, nach angestrengter Beobachtung unserer gesellschaftlichen Debatte und der darin verwendeten Sprache, den Negativpreis „Floskel des Jahres“ vergeben. Im Jahr 2021 war es die „Eigenverantwortung“, die laut den beiden Journalisten zu einer ausgehöhlten Plattitüde verkommen ist. 2022 heißt die Floskel des Jahres „Freiheit“. Wieso die Wahl auf Freiheit fiel, wirft Fragen auf.
Zuallererst gibt es viel bessere Floskeln, die sich in unseren Sprachgebrauch eingeschlichen haben. Sei es der Doppelwumms von Kanzler Scholz (der bei der Floskelwolke immerhin auf Platz 5 landete) oder das Wort Nazi, das mittlerweile für viele Linke einfach nur bedeutet: Das ist ein Mensch, den ich nicht mag. Die Floskelwolke begründet ihre Entscheidung so: „Der Freiheitsbegriff wird entwürdigt von Egoman*innen, die rücksichtslos demokratische Gesellschaftsstrukturen unterwandern. Im Namen der Freiheit verkehren sie selbstgerecht und unsolidarisch die essenziellen Werte eines Sozialstaates ins Gegenteil – alles für den eigenen Vorteil.“
Wie bitte? Die Definition von Freiheit ist: frei sein von fremder Einflussnahme oder Beschränkungen auf das eigene Leben. Freiheit hat rein gar nichts mit Sozialstaat oder Solidarität zu tun. Das ist ja das Tolle an Freiheit: Niemand wird gezwungen „solidarisch“ (Was heißt das heutzutage überhaupt? Das Wort ist mittlerweile selbst zur Floskel mutiert) zu sein, aber gleichzeitig wird auch keiner gezwungen unsolidarisch zu sein. Und ja, die Organisatoren der Floskelwolke beteuern selbst, dass Freiheit immer noch ein valider Begriff sei, und nur von den falschen Personen verwendet werden würde, doch das entlarvt den Negativpreis nur noch mehr als den antiliberale Aktion, die versucht normale Begriffe fürs linke Narrativ umzudichten.
Doch der Preis bekam trotzdem eine Bühne, nämlich vom Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk: Die Tagesschau berichtete über die Floskelwolke und die Preisvergabe, auch „Sprachkritiker“ Sebastian Pertsch kam zu Wort. Dass die Tagesschau die „Floskel des Jahres“ überhaupt als relevant ansieht, ist bezeichnend. Es wird über den Preis zweier einzelner, relativ unbekannter Journalisten (einer von ihnen immerhin beim WDR tätig, vielleicht deshalb auch die Berichterstattung?) berichtet, wie über Preise wie das „Wort des Jahres“, das von einer großen Jury ausgewählt wird.
Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn auf Twitter über der Floskelwolke ein regelrechter Shitstorm hereingebrochen ist. Zahlreiche Politiker der FDP und Journalisten des Springer-Verlages zogen in den Kreuzzug gegen die beiden Sprachexperten. Was daraufhin folgte, ist an Komik nicht zu überbieten. Zunächst kam heraus, dass Sebastian Pertsch selbst Sprache benutzt, die nicht unbedingt seinem Status als „Sprachkritiker“ gerecht wird. Er reagierte auf konstruktive Kritik auf Twitter gerne mal mit „Arschloch“, „Trottel“ oder „Pfeife“. Schnell löschte Pertsch daraufhin seine gesamte Twitter-Timeline und fing an, alle Accounts zu blockieren, die ihn auch nur im Ansatz kritisierten. Der andere Teil der Floskelwolke, Udo Stiehl, versuchte es unterdessen mit haltlosen Vorwürfen der Homophobie, die er Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt an den Kopf warf. Dieser hatte in einem Interview offensichtlich scherzhaft von den beiden „Macher*innen“ des Floskelwolke-Projekts gesprochen. Das führte Stiehl in einem Tweet auf seine eigene Homosexualität zurück.
Der aggressive Umgang der Floskelwolke-Organisatoren mit der Kritik an ihrem Projekt zeigt erneut auf, wie empfindlich der linke Mainstream-Journalismus geworden ist. Außerdem fällt mal wieder die Tagesschau mit unprofessioneller Berichterstattung auf. All das ist kein Novum, doch es ist interessant zu sehen, wie diese Verhaltensweisen mittlerweile niemanden mehr überraschen.