Der Fall Safronow – Unabhängiger Journalismus im Visier des russischen Regimes
Von Sarah Victoria | Am 5. September verurteilte das Moskauer Stadtgericht Iwan Safronow zu 22 Jahren Haft in einem Straflager. Zuvor forderte die Staatsanwaltschaft für den angeblichen Landesverrat sogar 24 Jahre Haft. Iwan Safronow ist ein ehemaliger Rüstungsreporter, der unter anderem für die Wirtschaftszeitung „Kommersant“ oder die Tageszeitung „Wedomosti“ über Militärthemen geschrieben hat. Vor seiner Festnahme vor zwei Jahren arbeitete er nicht mehr als Journalist, sondern als Berater bei Roskosmos, einer russischen Raumfahrtbehörde. Seit 2020 saß er in Untersuchungshaft, jetzt folgte die Verurteilung.
Zwischen 2015 und 2018 soll Safronow in sieben Artikeln Militärgeheimnisse an den tschechischen Journalisten Martin Larisch und den deutsch-russischen Politologen Dmitri Woronin weitergegeben haben. Laut den russischen Behörden kooperierten beide mit Nato-Diensten – also dem deutschen und tschechischem Geheimdienst. Mit dem tschechischen Journalisten war Safronow seit 2012 befreundet, oder wie es die russischen Behörden nennen: Er wurde angeworben.
Der bekannte Anwalt Iwan Pawlow, der auch Nawalny vertreten hat, übernahm Safronows Fall, bis er selbst ins Exil flüchten musste. Pawlow ist der Gründer der ehemaligen Juristenvereinigung „Komanda 29“, die sich auf die Strafverteidigung in Spionage- oder Landesverratfällen spezialisiert haben. Die Gruppierung hat sich mittlerweile aufgelöst, da sich die meisten Anwälte entweder im Exil oder im Gefängnis befinden. Iwan Safranows aktueller Anwalt, Dmitri Talantow, war im Juni in Untersuchungshaft.
Laut russischer Justiz ist es bestimmt nur ein Zufall, dass ein erfahrener Militärjournalist und Kenner der Raumfahrtszene zu einer abstrusen Haftstrafe verurteilt wird, während die “Spezialoperation” in der Ukraine zu wünschen übrig lässt und es auch im Raumfahrtsektor zu Verzögerungen kommt. Auch ist es ein Zufall, dass Iwan Safronows Vater, der ebenfalls Militärjournalist war, 2007 plötzlich aus einem Moskauer Fenster stürzte – natürlich ein Suizid. Die Botschaft an alle Journalisten und russischen Militärkenner ist eindeutig: Schreibt Dinge, die uns nicht gefallen und wir zerstören euer Leben.
Vor dieser Entwicklung warnte der Journalist Andrej Soldatow bereits 2020. Hintergrund für die Verurteilung ist eine Rechtsreform aus 2012. Laut der neuen Fassung können nun auch Journalisten zu Landesverrätern werden. Das war zuvor noch nicht möglich, da Journalisten per Definition keinen Zugang zu geheimen Informationen hatten. Vor der Reform musste sich der FSB immer Kunstgriffe einfallen lassen, um unliebsame Journalisten mundtot zu machen.
Die Reform des Strafgesetzbuches ermöglicht juristische Willkür, denn unter Staatsverrat zählt neben der klassischen Spionage nun jede finanzielle, konsultative oder materielle Kooperation mit einer feindlichen ausländischen Organisation. Der Tatbestand wird dadurch uferlos, was sich in Strafonows Fall wiederspiegelt. In der Vergangenheit ergaben sich daraus schon einige abstruse Gerichtsverfahren, wie etwa im Fall des Journalisten Iwan Golunow, der im Sommer 2019 nach seiner Artikelreihe zum Thema Korruption wegen versuchten Drogenhandels angeklagt wurde. Die Klage wurde nach einer öffentlichen Empörungswelle ein paar Tage später wieder fallen gelassen.
Die langen Haftstrafen zeigen zudem, dass es der russische Staat ernst meint. Nur besonders schwere Gewaltverbrecher verbringen so viel Zeit im Gefängnis – etwa für Missbrauch, Mord oder Hochverrat. Zum Vergleich: Der Mörder von Boris Nemzow wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt.
Iwan Safronow erhielt gleich 22 Jahre. Zu 22 Jahren Haft wegen Hochverrats wurde zuvor Sergey Mikhailov verurteilt, der stellvertretende Leiter des FSB-Informationssicherheitszentrums. Die gleiche Haftstrafe forderte die Staatsanwaltschaft für Strafonow – der nur Informationen teilte, die größtenteils öffentlich einsehbar waren. Russische Investigativjournalisten des Medienunternehmens „Projekt“ haben den Fall auf ihrer Seite aufgearbeitet.
Das Vertrauen in die russische Justiz dürfte dadurch nicht größer werden. In einer Studie des Lewada-Zentrums von 2020 vertrauten gerade mal 31 Prozent der Befragten den russischen Gerichten. 51 Prozent gaben an, die Staatsanwaltschaft für nicht vertrauenswürdig zu halten. Nicht ohne Grund gibt es im Russischen den Begriff der Basmannyj-Justiz – abgeleitet vom Moskauer Basmannyj-Bezirksgericht, in dem schon zahlreiche politisch motivierte Prozesse verhandelt wurden. Dieser Trend dürfte sich seitdem nur noch verschlechtert haben.
Die Urteilsverkündung fand, wie auch der restliche Prozess, hinter verschlossenen Türen statt, so dass es nur ein schriftliches Statement von Safronow selbst gibt. In diesem Statement vom 30. August, das BBC Russia vorliegt, schreibt er:
„Der von der Staatsanwaltschaft geforderte Begriff ist nicht nur in seiner Absurdität, sondern auch in seinen Folgen ungeheuerlich – nicht nur für mich, sondern auch für das Ansehen des Landes. Die ganze Welt wird sehen, dass sie einen Journalisten für das Schreiben von Artikeln ins Gefängnis stecken wollen. Ein Schuldspruch zu fällen bedeutet für lange Zeit, wenn nicht für immer, das Thema Meinungsfreiheit zu schließen, weil es weder Rede noch Freiheit geben wird.
Wenn ich vom Schicksal dazu bestimmt bin, im Gefängnis zu sitzen, dann werde ich meine Strafzeit mit Ehre und Würde absitzen. Es gibt kein Corpus Delicti in meinen Handlungen. Ich beteuere meine Unschuld und fordere einen vollständigen Freispruch.“