Demokratie? Nicht für den Pöbel!
Von Selma Green | In den sechs Jahren Gymnasium lernt man neben Algebra, Geschichte und Literatur auch sehr viel über seine Mitschüler – manchmal mehr, als einem lieb ist. Die neueste Erkenntnis meiner linken Banknachbarn: Bürger dürfen nicht bei politischen Entscheidungen mitsprechen, weil nicht jeder von ihnen ein Experte ist.
Zu diesem Fazit kamen die Genossen aus meinem PW-Kurs (Politikwissenschaften) bei der Diskussion um die Frage, ob es ein Segen oder Fluch für unsere Demokratie sei, Volksentscheide in Deutschland einzuführen. Bei all den gruseligen Gestalten, die in Berlin so durch die Gegend laufen, kann ich ja verstehen, wenn man Volksentscheiden skeptisch gegenübersteht. Aber das Argument meiner Mitschüler gegen Volksentscheide war dann doch – sagen wir – erstaunlich: Volksentscheide seien schlecht, weil dann Bürger mitbestimmen, die keine Ahnung haben und keine Experten sind.
Nach dieser Logik wäre aber das gesamte System unserer Demokratie völlig hinfällig. Sind es nicht dieselben Bürger, die bei Volksentscheiden mitbestimmen, die alle vier Jahre ihre Repräsentanten und Parteien wählen? Also egal ob Volksentscheid oder nicht, die Bürger haben in einer Demokratie ein Mitbestimmungsrecht und das, egal ob Experte oder Vollidiot.
Der Willen des Volkes? Ein veraltetes Prinzip!
Ich frage mich wirklich, wie man darauf kommen kann, dass mündige Bürger ab sofort Experten sein müssen, um eine Wahl zu treffen, die ihren ganz eigenen Willen, ihre Gedanken und Bedürfnisse widerspiegelt – denn genau darum geht es bei Volksentscheiden: Allein um den Willen des Volkes. Und genau das ist auch der Kern einer Demokratie, sagt ja schon das Wort. Die Macht soll vom Volk ausgehen. Es geht eben nicht um die „Expertenmeinung” – außerdem wer definiert überhaupt was ein Experte ist?
Mit dem Argument meiner linken Mitschüler wird den Bürgern also schlichtweg ihre Mündigkeit abgesprochen. Als ich das meinen Mitschülern entgegenhielt, meinte einer nur „Na und? Können wir doch”. Ich war so baff, dass ich nichts entgegnen konnte. So eine Antwort habe ich das letzte Mal vor sechs Jahren aus dem Mund meiner älteren Schwester gehört. Damals schnappte sie mir das letzte Stückchen Kuchen vor der Nase weg, und ich jammerte rum, dass es doch mir gehörte. Na und? Sie war älter und konnte es mir eben wegschnappen.
Argumente? Fehlanzeige!
Ich warf einen verzweifelten Blick zu meiner Politiklehrerin, die blickte aber nur verdattert drein und rührte sich nicht, um für mich einzuspringen. „Das ist doch aber das Prinzip unserer Demokratie!”, sagte ich fassungslos – doch mein Satz ging im aufgeregten Gemurmel des Kurses unter. Meine Argumente trafen bei meinen Mitschülern auf völlig taube Ohren.
Ich war die einzige im gesamten PW-Kurs, die anmerkte, wie sinnfrei und undemokratisch die Aussage meiner Mitschüler eigentlich ist – die sie überhaupt in Frage stellte. Dabei haben wir das gesamte Semester über die Demokratie im PW- und im Geschichtsunterricht durchgekaut. Mal im Ernst: So intellektuell herausfordernd ist das Thema nicht. Und doch scheint es, als hätte mein gesamter Kurs inklusive der Lehrerin vergessen, was eine Demokratie ist. Dabei haben wir das Thema so oft behandelt, dass ich den Aufbau der attischen Demokratie aus dem Stand herunterbeten könnte.
Wie kann es dann sein, dass ein paar Halbstarke in meinem PW- Kurs dem Volk seine Mündigkeit absprechen und damit bei absolut niemandem auf Gegenwehr stoßen?
Ich habe so langsam das Gefühl in meinem PW-Kurs geht es kein bisschen mehr um den Inhalt. Ich schwimme nicht beim linken Mainstream mit und deshalb trete ich bei jedem Argument, das nicht mit der Meinung meiner Mitschüler übereinstimmt, eine Lawine los. Es geht nur noch ums Prinzip: Mir zu widersprechen, egal worum es geht – Selma liegt prinzipiell falsch.
Obwohl sich meine Mitschüler erlauben, ein ganzes Volk als unfähig zur politischen Mitbestimmung zu erklären, stehe ich mit meinem Protest so am Ende allein da. Niemand macht sich die Mühe, selbst nachzudenken und zu bemerken, wie undemokratisch diese Aussage ist. Doch das traurigste ist wohl, dass nicht einmal die Lehrerin den Mund aufmacht. Sie soll uns beibringen, was unser rechtsstaatliches und demokratisches System ausmacht, und uns beibringen, Geschehnisse und Aussagen kritisch zu hinterfragen, doch traut sich selbst nicht mehr, dem linken Mainstream zu widersprechen.
Ein wirklich trauriges Zustandsbild, ich erlebe diese Anspruchlosigkeit ggü. der Demokratie und die Aufgabe der eigenen Mündigkeit selbst in meinem Umkreis. Solange es aber Leute gibt, die sich für die eigene Urteilsfähigkeit einsetzen und sich gegen Tendenzen einer sog. objektiven Wahrhaftigkeit im Sinne eines Expertendiktates stemmen, habe ich noch Hoffnung.
Daher kann ich nur meinen Dank an die Autorin richten, die gegen diese Selbstaufgabe der Menschen und der Demokratie stand hält, auch wenn sie vermeintlich in der Minderheit steht. Denn das ist definitiv nicht so!
Als Argument hätte man durchaus noch anführen können, dass selbst unsere Bundesminister (offensichtlicher denn je) keine Experten auf dem Gebiet ihres jeweiligen Ressorts sind und kostspielige Berater für Entscheidungen heranziehen und bezahlen müssen.
Traurig aber auch wahr. wie so vieles.
Nach der Logik der „Experten“-Befürworter wäre ja der Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ hinfällig – oder?
Liebe Frau Green, halten Sie durch. Und sehen Sie es positiv: Ihre Mitschüler liefern Ihnen doch immer reichlich Stoff zum Schreiben!
Das Problem ist das bei der Generellen Kritik an Volksentscheiden nur vorgegebene Argumente von den Lehrern übernommen werden. In Wirklichkeit muss man dass nur richtig organisieren und zwar so dass alle Vertreter der Debatte die Möglichkeit haben ihre Meinung zu nennen und die Folgen zu bestimmen. Dann braucht man Experten nur zur Korrektur krasser Lügen wie Boris Johnson NHS Lüge. Vom Prinzip her kann das funktionieren nur hat die Tory Regierung in Großbritannien nicht funktioniert wie das Prinzip funktioniert und versucht es nun mit lauter Scheinargumenten zu überdecken. Once in a Generation Argument und ähnlicher Blödsinn. In Deutschland wäre für viele Politiker das Problem das strukturelle Fehler längst keine Mehrheit mehr hätten. Zum Beispiel :Bildungsförderalismus usw.
Das mag in vielen BRD-Schulen so sein. Ein Trost vielleicht: das Lernen geht danach weiter und der beste Lehrer/Lehrmeister ist das Leben selbst. Da draussen gibt es viele Maurer, Maler, Bäcker, Verkäufer, Klempner, Elektroingenieure… u.v.m. Die lassen sich glücklicherweise von solchen linken Halbstarken nichts sagen… Also Kopf hoch. – P.S.: Natürlich gibt es auch noch Ärzte, Rechtsanwälte, diverse Wissenschaftler (alles im maskulinen Genitivum.. 😉 ) … Also Kopf hoch!