CSD statt Spielplatz?

Von Johanna Beckmann | „Es ist scheißegal wen du küsst!“: ein Schild mit dieser Aufschrift wird von einer acht jährigen in einem süßen Regenbogenoutfit hochgehalten. Dieses Kind ist nicht das einzige, das in seiner Kindheit den CSD besucht hat, anstatt auf den Spielplatz zu gehen.
Jedes Jahr im Juli versammeln sich große Menschenmassen auf dem CSD, manche sind verkleidet und manche nicht. Jeder kann anziehen was er möchte. Alles ist schrill und bunt. Die meisten Menschen tragen Klamotten in den Regenbogenfarben und Fahnen, die ihre Sexualität beschreiben. Es kommen Sänger, Menschen halten Reden und es wird gefeiert. Hört sich doch ganz gut an, oder ? Ist es auch, denn die Stimmung ist ausgelassen. Die meisten demonstrieren dafür, dass sie ihre eigene Sexualität ausleben dürfen und dabei respektvoll behandelt werden.
Als ich ungefähr dreizehn war, hätte ich gern an einer CSD Parade teilgenommen. Glitzer in das Gesicht malen, laute Musik hören und feiern, das wollte ich unbedingt auch machen. Und nein, ich war nicht frühreif und auch nicht politisch interessiert. Ich wollte einfach nur sein, wie die Influencer denen ich auf Musically (heute TikTok) und Instagram folgte. Diese zeigten die ausgelassene Stimmung und ihre hübschen und farbenfrohen Outfits beim CSD. Viele meiner Klassenkameraden folgten den gleichen Influencern. Meine Freunde gingen zum CSD und posteten ihre Erlebnisse auf Instagram. Ich konnte dort nicht hingehen, da ich im Familienurlaub war. Zu dieser Zeit machte es mich sehr traurig, die Posts meiner Freunde zu sehen und nicht dabei sein zu können. Heute bin froh, dass mein Familienurlaub mich von der Demonstration abgehalten hat, denn mir war damals nicht einmal klar, warum dieser schrille und bunte CSD stattfindet. Trotzdem wollte ich mir ein Beispiel an dem bunten MakeUP und den Outfits der Influencer nehmen. Auch eine Flagge hätte ich gern hochgehalten. Von diesen Fahnen gibt laut dem offiziellen CSD Flaggen Lexikon 27. Und ich muss zugeben, dass ich bis heute nicht alle kenne. Ich habe ein Mal durchgezählt: Ich kenne ungefähr 10, ich bin 16 und habe mich durch meinen Freundeskreis schon oft mit diesen Flaggen beschäftigt. Damals kannte ich noch weniger. Natürlich hätte ich auch nicht gewusst, welche ich nehmen soll.
Und ich glaube nicht, dass ich die einzige war, die nicht aus einem politischen Grund zum CSD gegangen wäre. Ich habe den CSD nur als Festtag gesehen, dass es auch ein Gedenktag ist wusste ich nicht. Auch war mir nicht bewusst, dass er an den ersten bekanntgewordenen Aufstand von sexuellen Minderheiten gegen die Polizeiwillkür in der New Yorker Christopher Street erinnert. Von den schlimmen tagelange Straßenschlachten hatte ich ebenfalls noch nie gehört. Das ich wahrscheinlich nicht die einzige in meinem Alter gewesen war, die dort nicht für ihre Sexualität demonstrieren wollte, belegt eine Studie der Universität Basel: Nur 69% der Jugendlichen zwischen 15 und 18 geben an über ihre Sexualität Bescheid zu wissen. Der Prozentsatz bei noch jüngeren Kinder liegt also wahrscheinlich weit unter 69%. Das zeigt das, dass Wissen über die eigene Sexualität in diesem Alter sehr unwahrscheinlich ist und das viele Junge Menschen dort, wie ich, nur hingehen wollten um „cool“ zu sein.
Mit meinen dreizehn Jahren wäre ich nicht die jüngste auf dem CSD gewesen, da es viele Eltern gibt, die den Familienausflug am Wochenende vom Spielplatz zum CSD verlegen. Sie sehen dies als Erziehungsmaßnahme an. Das hat zur Folge das man auf dem CSD auch fünf- oder acht Jährigen über den Weg läuft. Häufig werden diese Kinder in „süße“ Kostüme mit regenbogenfarbenen Engelsflügeln gesteckt. Sie halten auch oft Schilder hoch mit Aufschriften wie: „Es ist scheißegal wen du küsst!“ Natürlich ist es „scheißegal“ wer wen küsst, aber das ist ein politisches Statement und ein acht jähriges Kind hat in den meisten Fällen keine politische Einstellung und deswegen sollte es auch keine tragen müssen. Darüber, dass man mit acht Jahren nicht für seine eigene Sexualität demonstriert muss man sich glaube ich nicht streiten.
Natürlich ist mir bewusst, dass auch Kinder wissen, dass es lesbische und schwule Paare gibt. Dennoch gibt es auf einem CSD viele Gruppen, die sehr sexualisiert auftreten. Wen ein Kind zum Beispiel jemanden sieht der in einem Latexanzug an der Leine geführt wird, stellt es sich wahrscheinlich die Frage: „Warum muss der Mann angeleint werden? Das hier jemand seinen Fetisch offen zur Schau stellen, wird das Kind nicht verstehen. Natürlich muss man zu einem Zeitpunkt in seinem Leben lernen muss, dass es Fetische gibt und das man diesen Menschen tolerant gegenüber treten sollte, aber nicht im Alter von acht.
Grundsätzlich ist es wichtig, dass Kindern in einem jungen Alter beigebracht wird, dass man jede Person respektvoll behandeln sollte. Das geht aber auch außerhalb des CSDs. Und ist es nicht auch irgendwie gegensätzlich, dass dafür demonstriert wird, dass jeder so leben darf, wie er möchte, nur die Kinder dürfen nicht auf den Spielplatz, sondern müssen auf einer Demonstration sein und Schilder hochhalten? Und sollten nicht Menschen, wie die Influencer, denen ich früher gefolgt bin, ihre Reichweite eher dafür nutzen, über die Entstehung des CSDs aufzuklären, als ihre jungen Follower dazu zu bewegen hübsche Outfits anzuziehen und dort zu feiern? Meiner Meinung nach gehören Kinder nicht auf einen CSD. Ich sage das nicht, weil ich ich denke, dass Kinder nicht wissen dürfen, dass es lesbische und schwule Paare gibt. Ich würde mit meinen Kindern auch nicht auf heterosexuelle Veranstaltungen gehen, auf denen sich alles um die Sexualität dreht. Aus diesem Grund bin ich dankbar, dass ich früher immer im Familienurlaub war.
Ja, das sehe ich auch so – das ist wirklich Missbrauch, Kinder zu sowas mitzunehmen… Hat aber Tradition bei Hippies…