CO2-Kompensation, oder auch: Der reformierte Ablasshandel

Von Sarah Victoria | Ferienzeit ist Reisezeit. Die Koffer sind gepackt, die Tickets gebucht und jetzt heißt es nicht nur für Apollo-Autoren: Ab in den Urlaub! Während manche klimabewusst zuhause bleiben, oder ihr CO2 immerhin im eigenen Land ausstoßen, nutzen andere die Ferien, um die Welt zu entdecken.
Flugzeuge sind dabei nach we vor das beliebteste Transportmittel für Fernreisen. Rund 18 Millionen Deutsche sind im vergangenen Jahr für ihren Urlaub in den Flieger gestiegen. Was wie eine logische Beobachtung klingen mag – wer will schon bis in die Karibik schwimmen oder mit dem Flixbus nach Mallorca durchbrechen – trägt für viele Klimaktivisten einen bitteren Beigeschmack mit sich. Die Klimakiller sind wieder unterwegs und töten den Planeten, eine Flugreise nach der anderen. Fliegen ist die klimaschädlichste Art zu reisen, sie produziert nämlich CO2. Doch um den Planeten zu retten, müssen weltweit Treibhausgase reduziert werden. Dafür soll am besten ganz auf Flüge verzichtet werden – ganz nach dem Motto „Zuhause ist es doch am Schönsten!“. Eine Forderung, die man zuerst nicht im politisch linken Spektrum vermuten würde. Und in der Tat steht das Vorhaben, den CO2-Fußabdruck zu reduzieren, im krassen Gegensatz zum sonstigen Wunsch nach kultureller Vielfalt und internationalem Austausch. Weltoffenheit ja, aber nur, wenn alle im eigenen Land bleiben? Das geht selbst den Klimaaktivisten zu weit. Um dieser Identitätskrise zu entgehen, haben sie eine Lösung in Form der freiwilligen CO2-Kompensation gefunden.
Der Begriff Kompensieren bedeutet so viel wie einen Nachteil ausgleichen. Bezogen auf die Flugkompensation sollen also die ausgestoßenen CO2-Emissionen ausgeglichen werden. Dafür wird für die verbrauchte Menge CO2 ein Spendenbetrag bestimmt, mit dem der verursachte Schaden kompensiert werden soll. Einer der bekanntesten Rechner stammt vom Umweltbundesamt, es gibt aber noch viele weitere Anbieter. Dieser Ausgleich ist anscheinend möglich, da das Klima ein globales Phänomen sei, dem es prinzipiell egal sei, an welchem Ort Treibhausgase entstehen oder eingespart werden. Europäische Abgase können nach dieser Logik selbst am anderen Ende der Welt kompensiert werden. Emissionen vermeiden wäre zwar ideal, aber Zertifikate tun es im Notfall auch.
Ein simples Prinzip, das historische Tradition hat. Schon im 15. Jahrhundert wusste die katholische Kirche, dass Kompensation im psychologischen Sinne immer mit dem Ausgleich einer echten oder eingebildeten Minderwertigkeit zusammenhängt. Mittels Ablassbriefen konnten Sündiger sich Gnade erkaufen und dadurch ihre Strafe mildern – und ganz nebenbei ihr Geld in Kirchenbauten investieren. Denn „wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt!“. In der Tat erinnert das Narrativ der CO2-Kompensation stark an den mittelalterlichen Ablasshandel und die christliche Sündenlehre. Schon von Geburt an belastet der Mensch seine Umwelt durch den Verbrauch von Ressourcen, er trägt die Erbschuld quasi in sich. Im Laufe des Lebens wird er dann zum Parasiten, der den Planeten je nach Lebensstil mehr oder weniger zerstört. Der klimabewusste Mensch ist sich dieser Schuld bewusst. Zeitgleich ist er jedoch auch fähig, den Planeten vor genau dieser Zerstörung zu bewahren. Genau diese innere Zerrissenheit greift die CO2-Kompensation auf und bietet ein gutes Gewissen für reichlich Geld an.
Die Kosten für den Emissionsausgleich können dabei variieren. Für eine vierköpfige Familie kostet der Flug nach Mallorca beim Marktführer „Atmosfair“ etwa 40 Euro, bei der kirchliche Organisation „Klima-Kollekte“ wären es über 60 Euro, andere Anbieter verlangen das Doppelte. Statt die einzelnen Projekte selbst recherchieren zu müssen, stellt der unter Flugscham leidende Spender sein Geld der Dachorganisation zur Verfügung, die dann selbst die Investition in einzelne Projekte übernimmt. Ziel der Projekte ist es immer, CO2 einzusparen. Sei es in die Subvention von leistungsfähigen Öfen in Nigeria oder Nepal, in die Finanzierung von indischem Biogas aus Kuhdung oder den Bau von Windkraftanlagen in Nicaragua.
Ob das in Mallorca verbrannte Kerosin durch indischen Kuhdung wiedergutgemacht werden kann? Ich wage das zu bezweifeln. Ebenso fraglich wie der Ansatz, global irgendwelche Wirkzusammenhänge feststellen zu wollen. Die Organisationen verweisen oft auf die positiven Effekte, die die einzelnen Projekte für das Klima haben. Ein Ziel, das so abstrakt ist, dass man so gut wie alles darunter zählen kann. Genauso gut könnte ich die Behauptung aufstellen, dass meine Mobilitätsverweigerung im Sportunterricht bereits CO2 einsparte oder ich durch meinen Urlaub vor dem heimischen Ventilator das Klima rette – den ich übrigens einschalten darf, wir haben Solarstrom.
Um dennoch etwas Seriosität zu erlangen, gibt es auch für Kompensationsprojekte Standards. Standards alleine bedeuten natürlich noch nicht, dass eine Organisation die Mittel sinnvoll einsetzt, aber immerhin wird dadurch versucht, die allzu kriminellen Anbieter herauszufiltern. Neben dem Standard für Emissionszertifikate vom UN-Klimasekretariat gibt es etwa das Siegel des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI) oder auch den Gold Standard, ein jetzt unabhängiger, aber vom WWF entwickelter, Qualitätsstandard. Die Siegel sollen sicherstellen, dass die Gelder vor Ort ankommen. Eine wichtige Regel lautet dabei: Seriöse Organisationen setzen Mittel für konkrete Projekte mit einem klaren und verbindlichen Zeitrahmen ein. Siegelträger beschränken sich in ihren Projekten meist auf konkrete Programme, wie etwa die Aufforstung von bestimmten Wäldern oder den Schutz von Mooren. Ausschau halten die Qualitätsprüfer außerdem nach der berüchtigten 35%-Marke. Gemeinnützige Organisationen sollen nach dem DZI grundsätzlich nicht mehr als 35% der Spendengelder in Verwaltungskosten und Werbung stecken. Das erfordert natürlich die Transparenz der Finanzen. Neben diesen Indikatoren muss zudem nachgewiesen werden, dass die Projekte in irgendeiner Form Treibhausgase reduzieren und am besten auch nicht menschenfeindlich sind – ein nicht unwichtiger Punkt im Naturschutz, man denke etwa an die vom WWF finanzierten Menschenrechtsverletzungen in Asien und Afrika. Auffällig ist, dass nur wenige Klimaschutzorganisationen eines dieser Siegel tragen oder ihre Finanzen veröffentlichen. Nur einer der von Stiftung Warentest getesteten Anbieter trägt etwa das DIZ Siegel und auch der Gold Standard ist selten. In der Vergangenheit waren es gerade Organisationen, die Spendengelder umverteilen, in denen Geld verschwand. Unicef verlor 2008 deswegen für einige Zeit das DIZ Siegel und hatte jüngst mit ihrer griechischen Delegation Ärger. Kirchenorganisationen leisteten sich durch ihren kreativen Einsatz von Spendengeldern ganze Austrittswellen.
Und dennoch vertrauen reisefreudige Klimaretter, allen voran unsere Außenministerin, auf die Sinnhaftigkeit von Kompensation. Das gute Gewissen lässt sich also wieder kaufen. Wohlhabende Vielflieger sollen ihre Entscheidung zwar dennoch überdenken, aber ihre Sünden können zumindest gemildert werden. Zwar könnte man das Geld auch in einen nachhaltigeren Lebensstil investieren oder an heimische Organisationen spenden, deren Arbeit man selbst kontrollieren kann, aber es ist so viel einfacher, nur durch einen Klick schon beim Kauf des Flugtickets die Gewissensbisse auszuschalten. Warum vor der eigenen Haustür anfangen, wenn es die ganze Welt zu retten gibt? Denn wenn das Geld beim Kompensieren klingt, die Seele in den Flieger springt – oder so ähnlich.
Super!!! Ganz toller Beitrag, voller unbequemer Wahrheiten