Bolsonaro übertrifft in 1. Wahlrunde Umfragen im gespaltenen Brasilien
Von Boris Cherny | Der erste Teil der diesjährigen Wahlen in Brasilien ist vorbei. Sowohl das Unterhaus des Parlaments als auch der Präsident wurden neu gewählt. Beim umkämpften Präsidentenamt findet aber noch eine zweite Runde statt. Nach der ersten Runde liegt der sozialistische Kontrahent Lula da Silva (meist einfach Lula genannt) vor dem amtierenden Präsidenten Jair Bolsonaro.
Brasilien hat schwierige Jahre hinter sich. Einst wurde die südamerikanische Nation für eine kommende Wirtschaftsmacht gehalten. In den letzten Jahren stagnierte die Wirtschaft des Landes aber deutlich, und viel von der Hoffnung auf baldigen Wohlstand ist verpufft. Korruption in der Politik ist auf einem katastrophalen Level. Alle Präsidenten der letzten Zeit sind tief in verschiedene Korruptionsskandale verwickelt. Weiterhin deckt die Presse ständig neue Skandale auf. Gleichzeitig brannten in den letzten Dürreperioden verzweifelte Bauern den Amazonas-Regenwald nieder, was der Umwelt drastischen Schaden zufügt.
Die politische Polarisation im Land ist so stark wie nie. Großdemonstrationen und Ausschreitungen sind politischer Alltag. Die exorbitante Kriminalität des Landes wirkt sich auch auf das politische Klima aus. Immer wieder gibt es politische Ermordungen und Gewalt gegen Aktivisten. Ein Parteifreund des amtierenden Präsidenten Bolsonaro drohte neuerdings mit Waffengewalt, sollte Bolsonaro die Wahl verlieren: „Wenn wir die Wahl nicht an den Urnen gewinnen, dann gewinnen wir sie mit Kugeln.“ Währenddessen war Bolsonaro selbst im Wahlkampf 2018 Opfer einer Messerattacke.
Bolsonaro ist freilich keine unumstrittene Persönlichkeit. Gewählt wurde er 2018, als ein Anti-Establishment Kandidat, der die Korruption, Kriminalität und die Instabilität Brasiliens beseitigen sollte. Wirtschaftlich zwar eher populistisch eingestellt, verfolgt er in kulturellen Fragen ein äußerst konservatives Programm. Oft fällt er durch provokante Aussagen in Bezug auf Indigene, Frauen und Homosexuelle auf. In seinem Auftreten ist er oft sogar radikaler, als der mit ihm gerne verglichene Donald Trump.
Doch auch die Amtszeit des vermeintlichen Anti-Establishment-Präsidenten Bolsonaro ist durch Skandale geprägt. Überteuerte Käufe von Coronaimpfungen, Machtmissbrauch, um unter Anklage stehende Freunde zu schützen, Nepotismus, Ernennung von korrupten Personen in hohe Ämter, die Liste an Vorwürfen gegen Bolsonaro ist lang. Gleichzeitig lässt er immer wieder Zweifel an der Legitimität des Wahlausgangs aufkommen. Problem seien laut ihm die elektronischen Wahlmaschinen, die bei Wahlen des Landes eingesetzt werden.
Trotz Bolsonaros Makeln ist sein Hauptkonkurrent kaum besser. Luiz Inácio Lula da Silva, oder kurz Lula, war bereits von 2003 bis 2010 Präsident. Davor war Lula ein führender Aktivist der Demokratiebewegung, während Militärdiktatur des Landes. In der Zeit seiner Präsidentschaft erfuhren die Sozialprogramme des Landes einen massiven Ausbau, während viele seiner sozialistischeren Vorschläge und Wahlversprechen nicht umgesetzt wurden. Trotzdem genoss Lula eine hohe Popularität in der Bevölkerung. Diese hielt sogar an, als Lula aufgrund zahlreicher Korruptionsskandale in Schusslinie geriet. Diese führten gar zu einer Verurteilung zu 12 Jahren Gefängnis wegen Geldwäsche und Korruption. Er kam aber nach weniger als 2 Jahren frei und durfte trotz seiner Verurteilung bei dieser Wahl antreten.
Lange Zeit sah es nach einem deutlichen Sieg Lulas aus. Seine Präsidentschaft verbinden viele Menschen immer noch mit Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs. Gleichzeitig schwächelten Bolsonaros Umfragewerte aufgrund der zahlreichen Skandale und Krisen, die während seiner Regierungszeit aufkamen. Sowohl die Covid-19 Pandemie als auch die Waldbrände im Amazonas fielen in seine Amtszeit. Innerhalb der letzten Monate sank Lulas Vorsprung aber immer weiter. Nun schnitt Bolsonaro in der ersten Wahlrunde noch einmal deutlich besser als in den Umfragen ab.
Lulas kleiner Vorteil gegenüber Bolsonaro von nur knapp 5 Prozentpunkten macht einen Sieg des Amtsinhabers nicht unmöglich, und stärkt die Moral seiner Anhänger im Vorfeld der zweiten Runde. Bolsonaro hat in den letzten Monaten eine Aufholjagd hingelegt. Die Wirtschaft des Landes scheint sich zu erholen und gleichzeitig konnte der Präsident, trotz Skandalen, weiterhin sein Image als Anti-Establishment Kandidat ausspielen, und so viele Wähler mobilisieren. Aber erst am 30. Oktober wird sich zeigen, ob Bolsonaro einen Überraschungssieg landen kann. Bis dahin wird im polarisierten Brasilien aber noch mehrere Wochen erbitterter Wahlkampf geführt.