„Boerenprotesten“ in den Niederlanden – der Frust schwappt über

Von Leon Hendryk | In den vergangenen Jahren schwappten nur wenige Berichte über die niederländischen Bauernproteste durch die deutschen Medien. Demonstrierende Bauern blockierten regelmäßig mit ihren Maschinen Supermarktparkplätze oder die Verteilerzentren von Lebensmittelkonzernen und fuhren mit ihren Traktoren als Protestkolonne durch niederländische Städte. Doch vor einigen Wochen intensivierte sich der Protest. Bilder von brennenden Straßensperren auf Autobahnen und regelrechter Straßenschlachten zwischen demonstrierenden Landwirten und der Polizei machen die Runde. Wie kommt es dazu? Und welche Auswirkungen werden diese Proteste auf Deutschland und andere Länder in Europa haben?
Kurz zusammengefasst: Die „Boerenprotesten“, wie sie im Niederländischen bezeichnet werden, richten sich primär gegen neue Regeln der niederländischen Regierung zur Verringerung der Stickstoffemissionen. In den Niederlanden werden vergleichsweise viele Nutztiere gehalten, die mit auf dem Seeweg importierten Futter gefüttert werden. Dies führt zu einem sogenannten Stickstoffüberhang – das bedeutet, der niederländische Boden den Stickstoff in der von den Tieren verursachten Gülle nicht mehr aufnehmen kann. Als Resultat schädigt dieser überschüssige Stickstoff, in Form von Nitrat-, Ammoniak- und Nitrit-Verbindungen, die Umwelt und das Grundwasser.
Die Wut steigt
Die neuen Regeln hätten zur Folge, dass rund ein Drittel der tierhaltenden Betriebe in den Niederlanden aufgeben müssten. Tausende der demonstrierenden Landwirte sehen sich also unmittelbar in ihrer Existenz bedroht. Doch es gibt noch einen weiteren Grund für die Radikalität der Proteste: Die Subventionspolitik der EU sowie die neoliberale Wirtschaftspolitik von Parteien wie der VVD, die in den Niederlanden die Regierungskoalition anführt, haben erst zu der Fehlentwicklung von immer größeren Betrieben und immer mehr Viehbestand geführt. Jahrzehntelang hieß es in der Landwirtschaft: Wachse oder weiche! Kompetitiv und exportorientiert sollte die niederländische Landwirtschaft sein, forderte die Politik. Die Landwirte folgten und senkten ihre Kosten, steigerten die Erträge, stellten immer mehr Kühe und Schweine in ihre Ställe. Nun werden sie von den gleichen Politikern dafür bestraft und als Übeltäter gebrandmarkt. Viele Landwirte sind verbittert über die mangelnde Wertschätzung ihrer Arbeit in der Gesellschaft und Politik. Ihre Wut steigt.
Auch in Deutschland ist diese Wut zu spüren. In Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen gibt es ebenfalls große Gebiete, in denen eine intensive Tierhaltung zu Stickstoffemissionen führt, die weit über den gesetzlichen Grenzwerten liegen. Auch hier fürchten Landwirte um ihre Existenz, sollten diese Grenzwerte in Zukunft strenger durchgesetzt werden. Dennoch gibt es hierzulande kaum Proteste, insbesondere keine so heftigen wie in den Niederlanden. Der Grund hierfür wird zum einen in der Obrigkeitshörigkeit der Deutschen liegen, aber zum anderen auch in der Tatsache, dass die landwirtschaftlichen Verbände hier in Deutschland dem politischen Mainstream deutlich näherstehen als in den Niederlanden. Joachim Rukwied, der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, war beispielsweise viele Jahre Lokalpolitiker der CDU. Radikale Proteste gegen die Regierungspolitik, wie sie in den Niederlanden zu sehen sind, werden diese Organisationen daher wohl kaum initiieren.
Man sollte trotzdem nicht ausschließen, dass es auch in Deutschland zu Bauernprotesten kommen kann. Die Frustration deutscher Bauern über niedrige Erzeugerpreise und mangelnde Anerkennung ihrer Leistungen durch die Gesellschaft wächst von Jahr zu Jahr. Im politischen Berlin ist man dessen wohl bewusst. Laut Landwirtschaftsminister Cem Özdemir gebe es aber keinen Grund für Proteste von Landwirten in Deutschland, da sich die Ausgangsituation im Vergleich zu den Niederlanden unterscheide.
„Bauernproteste in Deutschland: Rechte wollen Wut ernten“ titelt hingegen die TAZ, und macht damit einen durchsichtigen Versuch etwaige Proteste schon im Vorfeld als rechtsextrem abzustempeln.
Keine Lösung in Sicht
Wie geht es nun weiter? In den Niederlanden verhandelt die Regierung nun mit Vertretern der Bauernbewegung, es zeichnet sich allerdings noch keine konkrete Lösung für den Konflikt ab. Denn das Problem einer, durch Subventionen und Futtermittelimporte, völlig überdimensionierten niederländischen Viehwirtschaft bleibt vorläufig bestehen. Vermutlich wird es schlussendlich auf einen steuerfinanzierten Ausgleich der finanziellen Verluste von Landwirten, die ihre Viehbestände reduzieren, herauslaufen.
Langfristig werden die Frustrationen der Landwirte aber fortbestehen. Sie sehen sich einerseits durch stetig zunehmende Umweltauflagen unter Druck gesetzt, sind aber auch ökonomischem Druck durch Billigimporte aus anderen Ländern ausgeliefert. Strenge Umweltauflagen für die heimische Landwirtschaft und gleichzeitiger Freihandel mit Nationen, in denen diese Auflagen nicht existieren, sind eine bittere Realität für viele Landwirte in den Niederlanden und in anderen europäischen Ländern. Der von der Politik geforderte „ökologische Umbau der Landwirtschaft“ wird unter diesen Voraussetzungen wohl nur unter Zuhilfenahme massiver Subventionen möglich sein.