Bilder mit Weißen Männern? Problematisch!
Von Sven Versteegen | Während in Deutschland heiß diskutiert wird, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) reformiert oder gar ganz abgeschafft werden sollte, veröffentlicht der Norddeutsche Rundfunk (NDR) fröhlich ein neues Format. Bei „Inspired – die Kunst-Challenge“ werden historische Kunstwerke von „Künstler*innen“ neu interpretiert. In anderen Worten: linke Künstler interpretieren historisch bedeutende Kunstwerke um.
they/them Tanzperformer:in
In der zweiten Folge des Triologie treffen wir auf Pascal Schmidt. Pascal ist 30 Jahre alt und stellt sich mit den Pronomen „sie, they/them“ vor. Böse Zungen behaupten Pascal wäre ein Mann, aber was wollen die schon wissen. Ähnlich verwirrt wie der durchschnittliche NDR-Zuschauer war wohl auch der NDR selbst. In der Beschreibung heißt es Pascal wäre ein:e „Tanzperformer:in“. Hut ab NDR, so wird Pascal jedenfalls nicht beleidigt sein. Die 18,36 Euro GEZ bei der Arbeit.
Noch ein wenig mehr zu Pascal. Er ist in Nepal geboren, wurde allerdings von Deutschen adoptiert. Seine Eltern sind dann nach Jamaika ausgewandert. Nach Deutschland kam er zurück, um seine Karriere zu starten. Pascal ist ein guter Balletttänzer, auch wenn sein Endprodukt (Tanz) ein wenig an mein Tanzen während des Hausputzes erinnert. Als Nepalese in Deutschland hat Pascal ein im Vergleich zu Nepal äußerst privilegiertes Leben. Denn Nepal hat ein Kastensystem, ähnlich wie das in Indien. Durch die räumliche Nähe entwickelten sich die zwei Systeme zwischen dem 4. und 6. Jahrhundert gleichzeitig.
Die Aufgabe:
Das berühmte Gemälde von Caspar David Friedrich „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ soll neu interpretiert werden. Dafür trifft sich Pascal mit einer weiteren Künstlerin in der Hamburger Kunsthalle. Er könne sich nicht mit dem Bild identifizieren, es sei „ein weißer, männlich gelesener Mann auf einem Stein, auf einem Brocken“, und weiter: „Wir wissen, mit der Geschichte der Welt, dass viele weiße Männer, viele schlimme Sachen getan haben.“
Eine kleine Geschichtsexkursion: Das Gemälde entstand im Jahr 1818. Damals gab es weder einen deutschen Nationalstaat noch eine organisierte deutsche Kolonialpolitik. Die Französische Revolution befindet sich noch im Gedächtnis der Menschen, die Vereinigten Staaten von Amerika hatten noch nicht ihren Bürgerkrieg und die Spanier kontrollierten noch Kalifornien.
Der Colonizer über dem Nebelmeer
Der Wanderer über dem Nebelmeer ist eine Ikone des deutschen Bewusstseins. Der Wanderer wird zum deutschen Patrioten. Zu einem Patrioten für eine Nation, welche es bis dahin nie gab. Doch Pascal verrät im Gespräch mit einer weiteren Künstlerin „Meine erste Idee, like, als ich das gesehen habe, dachte ich: Colonization.“ Falscher könnte man mit der Einschätzung nicht liegen. „Weiß gelesener Mann, großer Felsen, guckt auf ein Land, dass er erobern will.“
Die Sängerin tash africa wird als „Daddy of the House of Brownies“ vorgestellt. House of Brownies ist das Künstlerkollektiv, dem beide angehören. Dort arbeiten sie mit dem Thema Queerness und nicht-weiß sein in Deutschland. „Wir zeigen, wie geil es wäre authentisch zu leben.“
Aus einem mir unerklärlichem Grund redet tash Englisch, dabei beweist sie, dass sie auch fließend Deutsch spricht. Für das Publikum vermutlich etwas verwirrend, aber wir wollen den creative process nicht unterbrechen. Die beiden „Künstler*innen“ einigen sich auf Windgeräusche, trommeln und afrikanischen Gesang. Dabei wird die Idee „Colonization“ erneut aufgegriffen, denn tash singt ein südafrikanisches Lied über die Kolonialzeit.
Am Ende tanzt Pascal seine Interpretation des Gemäldes. Es ist nicht schlecht, aber auch nicht sonderlich gut. Es erinnert ein wenig an Filmszenen aus einer geschlossenen Einrichtung, in der die Person verrückt durch das Zimmer rast. Die Geschmäcker sind wohl verschieden.
Noch bis zum 19.01.2024 ist die Folge in der Mediathek abrufbar. Ein Blick lohnt sich, denn geteiltes Leid ist halbes Leid und ihr wollt mir ja nicht im Stich lassen. Außerdem lohnen sich die 30 Minuten allein schon für die überforderte Reaktion der anderen Künstlerin. Sprachlos wie sie ist, bringt sie nur ein „wow, wunderschön“ über die Lippen. Merkste selber, ne?