Bangladesch: Ausbeutung der Arbeiter oder Siegeszug des Freihandels?

Von Jonas Aston | David Ricardo gilt als Vater des Freihandels. Ricardo entstammt einer sephardisch-jüdischen Familie und wuchs im London des späten 18. Jahrhunderts auf. Dort stieß er auf das Werk „The Wealth of Nations“ von Adam Smith, dem Begründer der Marktwirtschaft. Die auf Smith beruhende Marktwirtschaft ermöglichte in Europa erst die Industrialisierung und auch den – oftmals zu Recht – gescholtenen Manchester-Kapitalismus. Dennoch konnte Großbritannien erst durch Smiths Theorien seine den anderen Europäern weit überlegene Textilindustrie aufbauen und die weltweite Vormachtstellung erlangen. 

Die Industrialisierung bedeutete für das Abendland enorme Umbrüche. Traditionelle Landgemeinschaften wurden in moderne Städtegesellschaften transformiert. Das bedeutete für viele den Verlust der Heimat und Arbeit zu unmenschlichen Bedingungen. Dennoch führte die Industrialisierung Europa zu großem Fortschritt. Es wurde ein nie gesehenes Wohlstandsniveau erreicht und es setzte ein enormes Bevölkerungswachstum ein. Die heutigen modernen Volkswirtschaften in Europa mit hohem Wohlstandsniveau und leistungsfähigen Sozialsystemen wäre ohne die Industrialisierung nicht möglich gewesen.

 Smiths Theorien führte Ricardo fort und wendete sie auf den Außenhandel an. Marktwirtschaft und freier Handel bedingen sich und können nicht unabhängig voneinander bestehen. David Ricardo beschreibt den Nutzen – die komparativen Vorteile – des freien Handels. Die Theorie des komparativen Kostenvorteils besagt, dass die Vorteilhaftigkeit des Handels von den relativen Kosten der produzierten Güter abhängt.  Wenn sich nun also jedes Land auf jene Güter fokussiert, die es kostengünstiger herstellen kann, ist Freihandel grundsätzlich für alle Länder von Vorteil.

Die Geschichte von Bangladesch steht hierfür exemplarisch. Bis 1947 war das asiatische Land eine britische Kolonie. Bangladesch hat 165 Millionen Einwohner und ist weit vom Wohlstand der westlichen Welt entfernt. Doch ein großer Hoffnungsschimmer für das Land ist seine Textilindustrie. Das mag auf den ersten Blick absurd erscheinen. Richtig ist, dass die Arbeit in den dortigen Fabriken ausbeuterische Züge trägt. Die Arbeitsbedingungen sind katastrophal und nicht selten sind schon Kinder gezwungen zu arbeiten, um ihren Familien ein ausreichendes Auskommen zu sichern. Bangladesch ist – nach China – der zweitgrößte Exporteur von Textilien. Die Löhne betragen gerade einmal ein Viertel der – für westliche Verhältnisse ebenfalls geringen – chinesischen Löhne. 87,5 Prozent der Exporte Bangladeschs sind auf diese Industrie zurückzuführen. Die Fabriken geben 20 Millionen Menschen Arbeit. Oftmals sind es Frauen, die in den Fabriken angestellt sind. Insgesamt stünde Bangladesch aber ohne seine Textilindustrie wesentlich schlechter da. Die hohe Beschäftigung der Frauen trägt wesentlich zur Unabhängigkeit und damit auch zur Emanzipation der Frauen bei. Seiner Textilindustrie verdankt es Bangladesch, dass es wirtschaftlich wesentlich fortgeschrittener ist als etwa Pakistan oder Afghanistan. Dort konnte eine Industrialisierung bis heute nicht Fuß fassen.

Hier schließt sich der Kreis zwischen Smith und Ricardo. Mit der einsetzenden Industrialisierung – die auch in Großbritannien mit der Textilindustrie ihren Anfang nahm – hat Bangladesch nun die Chance auf das Wohlstandsniveau des Westens aufzuschließen und den Weg zu gehen, den bereits andere südostasiatische Länder, wie Japan oder Korea beschritten haben.