Back to the DDR? – die Berliner haben für die Enteignung von 300.000 Wohnungen gestimmt

Von Jerome Wnuk | Neben der Nachrichten-bestimmenden Bundestagswahl und der Berliner Abgeordnetenhauswahl ist der Berliner Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungsunternehmen wie „Deutsche Wohnen“ in der Berichterstattung über die Ergebnisse des Wahlsonntags fast untergegangen. Dabei ist das Ergebnis erschreckend: Mit 56,4 Prozent haben die Berliner Wahlberechtigten mit eindeutiger Mehrheit für den Volksentscheid gestimmt.
Die Wohnungsknappheit und die damit verbundenen steigenden Wohnungspreise will man nun also mit einem Mittel aus der düsteren DDR-Zeit lösen. Ein Eingriff in die Eigentumsrechte, der bislang einzigartig in Deutschland wäre und jegliche Grundfeste der Marktwirtschaft angreift. Dennoch liegt der Entscheid jetzt auf dem Tisch und der Berliner Senat muss sich in der kommenden Legislaturperiode mit diesem auseinandersetzen, auch wenn der Entscheid nicht verbindlich für die Regierung ist. Die ins Abgeordnetenhaus gewählten Parteien positionierten sich in den letzten Monaten schon fleißig, die ehemalige Rot-Rot-Grüne Regierung vertrat dabei, mit Ausnahme des ehemaligen Bürgermeisters Michael Müller (SPD), die befürwortende Position.
Sollte es also wieder zu einer Rot-Rot-Grünen Bündnis in Berlin kommen, was nicht unwahrscheinlich ist, da die Koalition trotz ihres Versagens in den letzten fünf Jahren, an Stimmen zu gewinnen konnte, ist zumindest der politische Weg zur Verwirklichung des sozialistischen Traums nicht mehr weit. Die Linke fordert die Enteignung von Immobilienkonzernen ohne Wenn und Aber, die Grünen können sich Enteignungen als „letztes Mittel“ durchaus vorstellen, auch die SPD-Basis ist von der Idee nicht wirklich abgeneigt. Nur die voraussichtlich neue Bürgermeisterin der SPD Franziska Giffey positionierte sich, genauso wie ihr Vorgänger, gegen Enteignungen und stieß damit auf großen Unmut in der eigenen Partei. Zustimmung für ihre Position kriegt Giffey aus den anderen Fraktionen des Abgeordnetenhauses – CDU, FDP und AfD sind entschieden gegen Enteignungen. Es liegt also viel an Franziska Giffey und mit welcher Koalition sie regieren möchte.
Nur ein erneutes Rot-Rot-Grünes Bündnis würde dem Volksentscheid eine wirkliche Perspektive geben. Giffey sehnt sich jedoch eher nach einer anderen Koalition, zum Beispiel einer Ampel. Der Druck aus der linken SPD-Basis könnte jedoch irgendwann so groß werden, dass sich Giffey einem Rot-Rot-Grünen Bündnis beugen müsste und auch konkrete Enteignungspläne verhandeln müsste. Sonst könnte sie ihren Posten verlieren. Die ersten Anti-Giffey Kampagnen liefen ja schon während des Wahlkampfes durchaus prominent an.
Dass die Politik dem Enteignungsvorschlag zustimmt, wenn es erneut zu RRG kommt, ist also durchaus möglich. Doch selbst wenn sich eine kommende Koalition auf einen konkreten Gesetzesvorschlag zur Enteignung einigen könnte, müssten die Immobilienkonzerne noch nicht wirklich zittern. Denn der Volksentscheid ist praktisch zum Scheitern verurteilt. Obwohl in den letzten Tagen die ersten Aktivisten der Initiative schon feierlich durch die Straßen Berlins zogen, ist eines klar: Ein solcher Volksentscheid ließe sich vermutlich nicht rechtskonform durchsetzen, auch wenn Artikel 15 des Grundgesetzes Enteignungen für das Gemeinwohl theoretisch möglich machen würde. Denn dieser darf nur eingesetzt werden, wenn es keine Alternativen zu der Enteignung gibt. Das ist hier wohl nicht der Fall, denn die einfache Idee mehr Häuser zu bauen, würde schon für Entlastung sorgen.
Juristen sind sich zudem größtenteils einig, dass eine Enteignung gegen verfassungsrechtliche und europarechtliche Vorgaben verstoße. Denn ganz offensichtlich würde hier in die Eigentumsrechte eingegriffen werden. Und ebenfalls sollte jedem klar sein: Ein Mittelfinger gegen den Kapitalismus und das komplette Umkrempeln des Wohnungsmarktes wie hier wird die Wohnungsnot in Berlin nicht lösen.
Es könnte eher noch nach Hinten losgehen, da durch Enteignung zukünftige private Investoren abgeschreckt werden würden.
Zu der Enteignung von 300.000 Wohnungen in Berlin wird es also vermutlich nicht kommen, selbst wenn das blanke Berlin es irgendwie hinbekommen würde, die 25 bis 39 Milliarden Euro, die für die Enteignung fällig wären, locker zu machen. Und dennoch: das Ergebnis des Volksentscheides ist wieder Mal ein Beleg dafür, wie verrückt Berlin manchmal tickt.
Denn obwohl es in Berlin unmöglich ist, online oder analog einen Bürgeramtstermin zu bekommen oder eine Wahl reibungslos zu organisieren, trauen die Berliner ihrer Verwaltung trotzdem noch zu, sich um Hunderttausende Wohnungen zu kümmern. Und übrigens, wo Elemente direkter Demokratie gerade so im Trend zu sein scheinen: Wie war nochmal das Ergebnis zum Volksentscheid über Tegel?
Bildquelle: Shushugah, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons