Aus dem 9€-Ticket wird das 49€-Ticket
Von Sven Justin Verst | Endlich ist es September, endlich ist es weg! Vor drei Monaten, also Anfang Juni, startete das 9€-Ticket. Schnell wurde es als Erfolg gefeiert, vor allem von jener Politikelite, die selten bis nie im ÖPNV reist. Jeder, der auf den ÖPNV angewiesen ist, um von A nach B zu kommen, hat den Horror miterlebt. Volle Züge, sofern die dennabfahren konnten, wurden zur neuen Normalität in der Zeit des 9€-Tickets. Unbekannte Gerüche und eine dazugehörige Dauerbeschallung erzeugen eine abenteuerliche Atmosphäre, die an Mos Eisley Cantina aus Star Wars erinnert.
Der Erfolg lässt sich also nur auf dem Papier genießen. 52 Millionen verkaufte Tickets und mehr Fahrten über Verbundsgrenzen sprechen für ein gesellschaftliches Interesse an einem bezahlbaren und unkomplizierten ÖPNV. Auf die erhöhte Nachfrage war der ÖPNV nicht vorbereitet, mit einer Pünktlichkeitsrate von 88,5 % fiel der Regionalverkehr auf sein bisheriges Jahrestief. Zudem stellte es Menschen im Rollstuhl, mit Rollator oder Kinderwagen vor neue Herausforderungen. Unter anderem wurden diese Menschen an Bahnsteigen stehen gelassen, da es nicht möglich war, Platz zu schaffen. Auch Fahrradfahrer standen häufig vor dem Problem, nicht mitgenommen zu werden. Unter „Respekt für dich“ und Grüner Mobilitätswende litten also jene, die besonders schützenswert sind.
Als Teil des Entlastungspaketes und der Klimaschutzfantasien der Grünen fiel es auch eher nüchtern aus. Lediglich 10 % verlagerten PKW-Fahrten in den ÖPNV, dadurch ergibt sich eine CO2-Ersparnis von 1,8 Millionen Tonnen – hoffentlich lässt sich Greta Thunbergs Gemüt damit für einige Zeit besänftigen.
Mit dem dritten Entlastungspaket wird auch ein Nachfolger für das 9€-Ticket kommen. 49€ wollten SPD und Grüne, 69€ FDP und Verkehrsbünde. Dieses Ticket soll frühstens 2023 verfügbar sein. Noch hat sich die Bundesregierung auf keinen genauen Betrag geeinigt, aber es soll zwischen 49€ und 69€ liegen. Damit entfernt man sich deutlich von dem unverhältnismäßig günstigem 9€-Ticket. Trotzdem bleibt es in einem bezahlbaren Rahmen, besonders im Vergleich mit anderen Tickets.
Fahren wir von Düsseldorf von Köln eine der höchstfrequentierten Strecken Deutschlands. Im DB Navigator können wir ein Einzelticket für 11,30€ kaufen. Alternativ haben Studenten aus NRW das Privileg, mit ihrem Semesterticket zu fahren. Dafür zahlen sie durchschnittlich 200€ im Semester, also 33€ im Monat für ganz NRW. Das Semesterticket gehört zu den bisher günstigsten Angeboten. Wer nicht studiert und trotzdem regelmäßig mit dem ÖPNV unterwegs ist, zahlt deutlich mehr. Abonnenten des Ticket2000 aus dem Verkehrsbund Rhein-Ruhr zahlen monatlich 184,80€. Damit kommen Sie allerdings aus Düsseldorf nicht nach Köln, denn Köln liegt bereits im Verkehrsbund Rhein-Sieg. Ein 49€- oder 69€-Ticket lohnt sich also vor allem für Vielfahrer.
Trotzdem beschweren sich linke Aktivisten, es sei zu teuer. Es gibt Menschen, die sich dies nicht leisten könnten. Überraschenderweise haben sie damit nicht unrecht. Es gibt Menschen, die es sich nicht leisten können, ein Monatsticket für ganz Deutschland zu bezahlen. Zumal der Hart-IV-Satz (2021) für Verkehr nur 40,01€ vorsieht. Es ist nicht schön, aber nun mal Realität, dass ein deutschlandweiter ÖPNV kein Menschenrecht ist.
Spätestens nach dem 9€-Ticket „Erfolg“ ist klar, die Bahn, der ÖPNV allgemein muss sich ändern. Absurde Preise für kleine Verkehrsverbünde und eine Bundesregierung, die Ideologie betreiben, gegen den Individualverkehr agiert, sind keine Lösung. Ein Blick ins Ausland genügt, dort finden sich verschiedene Erfolgsrezepte aus unterschiedlichen Ländern. Die japanischen Bahnen gelten als Gold Standard. Dort schaffen es Privatbahnen, ihre Kunden pünktlich ans Ziel zu bringen. Denn Pünktlichkeit heißt Profit, ein Gedanke der in Deutschland zunehmend fehlt. Derzeit strebt die Bundesregierung Reformen an, welche die DB jedoch stärker an den Staat binden sollen. Dadurch hätte sie dann die Möglichkeit, Missstände anzugehen, heißt es. Ob das funktioniert, bleibt fraglich.