Auf meinem Campus werden Frauen sexuell belästigt – der Studentenausschuss warnt davor die Polizei zu rufen
Von Laura Werz | In dieser Woche habe ich als Studentin an der Humboldt Universität zu Berlin mal wieder eine Rundmail unseres „RefRats“ in meinem Uni-Postfach vorgefunden. Der gute Referent*innenRat behelligt uns Studenten in unregelmäßigen Zeitabständen mit Statements, Bekenntnissen oder Aufrufen zu politisch-korrektem Verhalten. Meine Erwartungen in den Informationsgehalt der E-Mails, die ich von dem Club bekomme, halten sich dementsprechend in Grenzen. Nichtsdestotrotz schaue ich natürlich allein aus Neugierde nach, über welchen diskriminierenden Vortrag oder nicht gender-gerechte Ansprache eines ahnungslosen Professors sich derzeit die selbsternannte politische Vertretung der „Student_innenschaft“ echauffiert.
Tatsächlich handelte es sich dieses Mal um eine sehr aktuelle und auch mediengetragene Debatte. Das Schreiben des RefRats wird von der Überschrift „Solidaritätserklärung mit dem AstA FU“ geziert. Sinn und Zweck des aktuellen Schreibens ist allein, uns die offizielle Positionierung des Rates bezüglich der jüngsten Vorkommnisse an der Freien Universität Berlin kundzutun. Inwiefern ein Statement des RefRats irgendeine Aussagekraft hat, ist an sich schon einmal fraglich. Der RefRat wird nicht direkt von den Studenten gewählt. Das hindert ihn hingegen keineswegs daran sich bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit als Vertretung der Studentengemeinschaft darzustellen.
Dieses Mal solidarisiert sich der Rat ausdrücklich mit dem AStA FU. Der „Allgemeine Studierendenausschuss“, kurz AsTA der FU, musste in den letzten Tagen viel Kritik der Medien einstecken. Grund dafür war eine Rundmail, in der vor einem Mann gewarnt wurde, der bereits mehrmals Studentinnen auf dem Campus sexuell belästigt und bedroht hatte. Die Pointe ist, dass vor dem Mann nicht nur gewarnt wurde, sondern ebenso vor der Polizei – vor denjenigen, die in so einem Fall einschreiten sollten (könnte man denken). Die AsTA sieht das allerdings anders. Polizeieinsätze würden ein Risiko für Polizeigewalt und rassistischen Ausschreitungen durch die Polizeibeamten darstellen. Um das zu vermeiden, sollen sich die Betroffenen doch einfach an den Sicherheitsdienst der Uni wenden. Es sind also nicht primär die Studentinnen vor dem Campusrumschleicher zu schützen, sondern der Campusrumtreiber vor der Polizei.
Dass sich ein Studentenausschuss mit einer derartigen „Empfehlung“ anmaßt, die Exekutivgewalt zu delegitimieren, führt meines Erachtens berechtigterweise zu einer „medialen Hetzkampagne“, wie es der RefRat in seiner Mail überspitzt ausgedrückt. Die „Studentenvertretung“ meiner Uni geht sogar noch einen Schritt weiter, indem sie erklärt, dass es angesichts der Vorfälle von Polizeigewalt eine Selbstverständlichkeit sein sollte, keinen Kontakt zur Polizei aufzunehmen. Immerhin würde die Polizei für von Rassismus betroffenen Personengruppen eine eklatante Gefahr darstellen.
Ich habe selbst bereits erlebt, wie Obdachlose in unseren Fakultätsgebäuden herumschleichen. Eine Begegnung aus dem letzten Winter habe ich bis heute nicht vergessen. Ich traf einen offensichtlich Obdachlosen Mann zu dieser Zeit mehrmals im Fakultätsgebäude an und sah ihn meistens der Nähe der Toiletten herumlungern. Der Mann hatte eine Mischung aus fettigen, lange Haare und Dreadlocks, trug einen Vollbart, ungewaschene und schmutzige Kleidung und ein paar Säcke mit sich. Als ich eines Tages auf der Toilette war, stürmte er direkt hinter mir in die Damentoiletten, stieß mich beiseite und schloss sich in einer Kabine ein. Nachdem ein paar Kommilitonen und ich ihn Sekunden später in der verschlossenen Kabine schreien hörten, verließen wir verstört die Toilette. Das wars. Dem RefRat zu Folge sollen sich Studentinnen in wesentlich schwerwiegenderen Vorfällen nicht an die Behörden und die Polizei wenden. Ich muss zugeben, das wäre normalerweise meine erste Intention. Aber vielleicht bin ich diesbezüglich zu egoistisch und muss lernen, mehr an die Gefühle meines Gegenübers zu denken. Seine Gefühle, die des Mädchen-Toiletten-Herumschleichers, könnten dem AStA der FU und dem RefRat der HU zufolge immerhin durch einen Polizeieinsatz verletzt werden.
Möglicherweise hatte der AsTA auch im Hinterkopf durch eine Vermeidung der Polizeibehörden keine Presseaufmerksamkeit auf den Wiederholungstäter der FU zu lenken. Welche Universität möchte schon damit glänzen, dass ihre Studentinnen auf dem Campus wiederholt sexuell belästigt und bedroht werden? Ob wegen der Presse, oder aus reiner Ideologie und Wokeness: die Aufforderung der AsTA der FU sowie die „Solidaritätsbekundung“ des RefRats der HU sind unverantwortlich und frauenverachtend. Es findet eine Täter-Opfer-Umkehr statt, die unter dem Deckmantel von Rassismus und Diskriminierung zu verstecken versucht wird. Frauenrechte, Feminismus sowie das Vertrauen in unsere Exekutive – über Jahrzehnte erkämpfte und gesellschaftlich erarbeitete Werte und Strukturen – sollen für den Schutz der Täter vor möglichen rassistischen Ausschreitungen weichen. Diese Werte, die der AsTA und der RefRat propagieren, sind für Universitäten, die Ort des Fortschritts, Vordenkens und der Freiheit sein sollte, absolut unwürdig und nicht zu rechtfertigen!