4. Türchen | Eine Dorf-Weihnacht ist die schönste

Von Jonas Aston | Auf welchem Planeten hat man mich hier ausgesetzt? Diese Frage musste ich mir vor wenigen Tagen wieder stellen. Es war bereits dunkel und ich hatte seit längerer Zeit mal wieder einen Fuß in die Hauptstadt, besser gesagt nach Kreuzberg, gesetzt. Da fiel mir wieder auf, dass die Uhren in Berlin ganz anders ticken als im gelobten Südthüringer Land. Damit meine ich gar nicht die unzähligen Shisha-Bars oder Dönerbuden, die das Viertel durchziehen und ich beschwere mich auch gar nicht darüber, dass ich kaum Deutsch gehört habe und nicht einmal mein Hotel-Rezeptionist die Landessprache konnte.
Nein, das Erste, was mir in Berlin aufgefallen ist, war etwas ganz anders. Nichts aber auch gar nichts deutete darauf hin, dass inzwischen Advent ist. Die Straßen waren dunkel, nirgendwo war Weihnachtsbeleuchtung zu sehen, keine Lichterketten, keine funkelnden Sterne und Weihnachtsbäume waren schon mal gar nicht zu sehen. Mein Aufenthalt in Berlin dauerte kaum mehr als 3 Tage an und doch musste ich feststellen, dass Weihnachtszeit in Berlin nur ein Synonym für den Monat Dezember ist, aber mit einem traditionellen Fest kaum noch etwas zu tun hat.
In meiner Heimat ist das ganz anders. Vom Weltall aus betrachtet ist Berlin im Dezember wahrscheinlich nur ein schwarzer Punkt, während mein Dorf in grellem Licht erstrahlt. In das Dorf führt eine längere Landstraße. Nach der letzten Kurve sieht man Häuser hell erstrahlen. Riesige Lichterketten werden teilweise auf 10 Meter Höhe über den Dachgiebel gezogen, Meterlange Balkongeländer sind weihnachtlich dekoriert. Im gesamten Dorf kenne ich nicht ein Haus, das nicht geschmückt ist.
Dieser Akt ist jedes Mal ein Wettlauf gegen die Zeit. Jeder versucht der erste zu sein, der sein Haus schmückt und gewissermaßen einen Dorftrend zu initiieren. Doch der Grat ist Schmal: Schmückt man zu früh macht man sich lächerlich und blamiert sich vor der gesamten Dorfgemeinschaft. Schmückt man zu spät, droht die gesellschaftliche Ächtung und der Ausschluss aus der Dorfgemeinschaft.
An Heiligabend trifft sich das gesamte Dorf dann in der Kirche zum Krippenspiel. Da in meinem Dorf ein chronischer Fachkräftemangel an Königen herrscht wurde ich ein Jahrzehnt lang genötigt Teil von dem Stück zu sein. Hätte ich abgesagt, wäre ich wohl für den ersten Ausfall des Krippenspiels seit Jahrhunderten verantwortlich gewesen und man hätte mich ins Exil verbannt. Weihnachten wird in dem Dorf gefeiert wie vor hundert Jahren. Es ist ein Fest der Familie und an den Traditionen hat sich nichts verändern. Das hat auch seine Schattenseiten, doch während Berlin düster bleibt, ist mir mein Dorf doch lieber.