3. Türchen | Sehnsucht nach einer stillen weißen Weihnacht

Von Sven Justin Verst | Es ist wieder so weit: In Thüringen und anderorts rieselt der Schnee. Und in den Nachrichten wird wieder von „Unfällen und Staus auf Straßen“, „Ausfällen im Busverkehr“ und Zügen berichtet, die sogar noch später kommen als sonst. Es ist also wieder so weit, der Winter hat Deutschland erreicht. Für mich sind Schnee und Weihnachten seit meiner Kindheit tief verbunden. Eigentlich seltsam, denn wir hatten selten bis nie Schnee zu Weihnachten. Zwar fiel auch mal die eine oder andere Flocke, die blieb allerdings entweder nicht liegen oder verwandelte sich binnen eines Tages in einen grauen Matsch – massive Rutschgefahr und absolut gar kein Weihnachtswunderland.
Dieses Jahr wünsche ich mir endlich eine weiße Weihnacht. Ein Wunsch, der eigentlich jedes Jahr auf meiner Wunschliste steht, aber dieses Mal sehnlicher als sonst. Eine verschneite Landschaft gibt mir ein Gefühl von Frieden und Ruhe. Etwas, was in den letzten Jahren gefehlt hat. Auf verschneite Felder schauen, frische Winterluft einatmen und nichts hören, als einen plätschernden Bach, der tapfer darum kämpft, nicht einzufrieren. Doch diese Ruhe des Winters zu genießen, ohne strahlende Neonweihnachtsmänner und aufdringliche Werbung, bleibt in meiner westdeutschen Großstadt bloß ein ferner Traum.
Leise rieselt der Schnee,
Still und starr liegt der See,
Weihnachtlich glänzet der Wald:
Freue Dich, Christkind kommt bald.
Manchmal wünschte ich, dass ich einfach in einer dieser alten großen Schneekugeln leben könnte, wenn auch nur für einen Tag. In einem kleinen Häuschen leben, draußen fällt glitzernder Schnee, der nicht in grauen Matsch zerschmilzt. Weihnachten ist nicht nur für mich eine Zeit der Besinnlichkeit. Der Wunsch zusammenzukommen und sich gegenseitig Licht in die winterliche Dunkelheit zu bringen, ist wohl kaum ein origineller. Trotzdem wird er selten wahr. Dieser Winter wird aus vielerlei Hinsicht dunkler sein als die letzten.
Viele Familien werden dieses Weihnachten unfreiwillig im Dunkeln verbringen. Die Strom- und Gaspreise stellen viele vor die Wahl: Beleuchteter Weihnachtsbaum oder Geschenke? Ich stehe jetzt vor einem innerlichen Konflikt. Einerseits haben die knalligen LED-Lichter in schrillen Neon-Farben schon immer Sachbeschädigungsfantasien in mir geweckt. Andererseits ist die Lage zu ernst, um das Ausbleiben dieser Beleuchtungsorgien als besinnliche Weihnachten zu betiteln. Zu Weihnachten sollte man nicht entscheiden müssen, ob man den erhöhten Stromverbrauch für die Weihnachtsgans oder die Lichterkette aufwendet. Auch wenn ich mich dabei ertappe, dieses Jahr endlich meinen Wunsch nach spärlich beleuchteten stillen Gassen erfüllt zu bekommen, sind das nicht die Umstände, die ich mir erhofft hatte. Es wäre perfekt, wenn die Fenster aus freier Entscheidung dunkel blieben. Nicht weil die Bewohner nach der letzten Rechnung mit Sorge darauf blicken, was das neue Jahr uns bringen wird.
Stille Nacht, heilige Nacht.
Alles schläft, einsam wacht
Nur das traute, hochheilige Paar.
Holder Knabe im lockigen Haar,
Schlaf in himmlischer Ruh,
schlaf in himmlischer Ruh.
Und noch etwas stört mich: Wieder ist die Politik weiter in unser Leben eingedrungen. Politik sollte zu Weihnachten beiseite geschoben werden. Über Gendern, Verkehrsreformen oder Klimawandel kann man sich das ganze Jahr über schon genug streiten. An Weihnachten geht es aber alleine darum, mit seinen Liebsten zusammen zu kommen und die Gesellschaft zu genießen. Doch während letztes Jahr die Pandemie (bzw. die ausführenden Politiker) uns vorschreiben wollten, mit wem man unter dem Weihnachtsbaum sitzen darf, steht dieses Jahr zur Debatte, ob der Baum nicht auch kahl schön ist. Dieses Jahr kann man nicht einmal seine Festtage bei Kerzenschein genießen, ohne hinterfragen zu müssen, ob man dabei nicht einen ungewollten politischen Akt ausführt.
Ich wünsche jedenfalls allen Apollo Lesern, den Familien und Freunden ein besinnliches und hoffentlich weißes Weihnachtsfest. Trotz allem ist das wichtigste, dass man sich die wichtigen Momente nicht nehmen lässt. Ohne sie sind doch eh alle politischen Bemühungen umsonst.