Jitzchak Rabin – ein wahrer König Israels

Von Simon Ben Schumann | Tel Aviv, 4. November 1995. Jüdischer Kalender: 12. Cheshvan 5756. Hunderttausende demonstrieren auf dem Platz der Könige Israels für eine  friedliche Aussöhnung mit den Palästinensern. Der Ministerpräsident, Jitzchak Rabin, 73  Jahre alt, hält eine bewegende Rede.  

„Der Weg des Friedens ist dem Weg des Krieges vorzuziehen. Ich sage euch dies als  jemand, der 27 Jahre lang ein Mann des Militärs war.“ 

Auf dem Platz sind viele Plakate, Transparente und Luftballons zu sehen – die Menge an  Demonstranten jubelt den Politikern auf der Bühne zu. Shimon Peres, damals  Außenminister im Kabinett Rabin, und der Ministerpräsident winken den ca. 200.000  versammelten Menschen. Rabin macht sich auf dem Weg zum Auto, will abfahren. Kurz  unterhält er sich mit den ihn umgebenden Demonstranten, schüttelt Hände. Dann: Zwei  Schüsse. Sie treffen ihn in den Oberkörper, die Lunge ist schwer verwundet. Seine  Personenschützer drängen ihn ins Auto, er ist noch bei Bewusstsein. Kurz darauf fällt er in Ohnmacht. 

Im Krankenhaus hat der Ministerpräsident keinen Puls mehr, aber man kann ihn  reanimieren. Eine folgende OP und lebenserhaltende Maßnahmen reichen nicht: Am  späten Abend erleidet Rabin einen Herzinfarkt infolge innerer Blutungen und verstirbt. 

Anschlag auf den Frieden 

Der 25-jährige Attentäter, Yigal Amir, handelte aus nationalistischen Beweggründen.  Obwohl er ein studierter Mann und sogar Jurist ist, war das Töten Rabins für ihn kein  feiger Mord – sondern Notwendigkeit.  

Grund: Die seit 1993 abgeschlossenen Verträge von Oslo. Zwischen der Palästinensischen  Befreiungsorganisation (PLO) und dem israelischen Staat waren unter Rabin und dem  Palästinenser Yasir Arafat mehrere Abkommen geschlossen worden, welche z. B. die  gegenseitige Anerkennung einschlossen. Die PLO verpflichtete sich, Israel nicht mehr  „vernichten“ zu wollen. Später wurden Einigungen über den Gazastreifen und das  Westjordanland erzielt, wo die Palästinenser weitreichende Autonomie und Kompetenzen  bekamen. 

Für den ultra-religiösen Amir war das eine Todsünde. Gott war für ihn kein  Verhandlungspartner – sondern schriftlich fixiert. Und in den Schriften des Judentums wird nicht nur Frieden, sondern in Teilen ein Besitzrecht auf das Westjordanland  festgehalten. Selbst enge Freunde aus streng religiösen Kreisen hielten ihn nach Medienberichten für einen Fanatiker. Seine Überzeugung wollte er durchsetzen – auch mit  Gewalt. 

Der Friedensprozess, welcher eigentlich zur palästinensischen Staatlichkeit führen sollte,  ergab nach Rabins Tod keine bahnbrechenden Erfolge. Noch heute ist eine Zwei-Staaten Lösung umstritten und wird mit der Zeit vermutlich immer unwahrscheinlicher. 

Seligen Angedenkens

Leah Rabin, Jitzchaks Ehefrau und wahrscheinlich wichtigste Unterstützerin, gedachte  ihres Mannes mit mehreren Büchern. In „Ich gehe weiter auf seinem Weg“, schrieb sie:  „Und wir selbst müssen den Mut aufbringen für den Frieden der Tapferen.“ In diesem  Sinne möchte ich diesen bescheidenen Nachruf schließen. Menschen wie Yigal Amir,  aber auch palästinensische Terroristen, sind wohl der Meinung, die Wahrheit gepachtet zu  haben. Für sie ist keine Frage, ob es in Ordnung ist, einen „Gegner“ zu töten – sie machen  es einfach. Wer aber für Frieden und Freiheit ist, wer die Werte des Gewissens trotz allem  hochhalten will, macht sich mächtige und skrupellose Feinde – ist aber selbst, a priori, prädestiniert für Selbstzweifel und Tatenlosigkeit. Empathie macht einen vielleicht zum  guten Menschen – aber nicht zwangsweise zum Gewinner, im Gegenteil. Skrupel machen  schwächer. Frieden erfordert deswegen Verstand und Durchsetzungsvermögen gegen alle  Widerstände – Tapferkeit eben, wie Leah Rabin meinte. 

Heute heißt der Platz der Könige Israels in Tel Aviv „Rabin-Platz“. Eine Ironie der  Geschichte? Für mich ist klar: Jitzchak Rabin war ein wahrer König Israels.  Sein Andenken wird hoffentlich noch lange als Beispiel für „das Gute“ dienen. Eines  bleibt mir hinzuzufügen: Wenn Rabin im November 1995 eine schusssichere Weste  getragen hätte – dann hieße der Platz in Tel Aviv heute wahrscheinlich anders. Doch er würde womöglich auf ein friedliches Land am Jordan blicken.

1 Antwort

  1. Hannah Weisberg sagt:

    Danke für diesen informationsreichen und klaren Artikel!