19. Türchen | Mythos “Weiße Weihnachten“

Vom Leon Hendryk | „Schon wieder keine weißen Weihnachten! So ein Mist, die Winter werden immer wärmer wegen des Klimawandels!“ Sicher hat jeder so etwas Ähnliches schon einmal gehört. Entweder von nervigen Klimaaktivisten, einem Moderator des öffentlich-rechtlichen Fernsehens oder von Großtante Erna beim Weihnachtsbrunch. Gerne kommen solche Äußerungen auch von Boomern, die noch im gleichen Atemzug beteuern, dass es „jedes Weihnachten Schnee gab als ich noch klein war!“.
Nun gibt es bei dieser Sache aber einen klitzekleinen Haken: Es ist völlig unmöglich, dass die letzte Aussage stimmt, es sei denn der erboste Boomer verbrachte seine Kindheit auf der Zugspitze. Denn das ist der einzige Ort Deutschlands an dem in den vergangenen Jahrzehnten jedes Weihnachten verlässlich Schnee lag. Und es kommt noch dicker: Im Rest Deutschlands ist die Wahrscheinlichkeit weiße Weihnachten zu erleben in den letzten hundert Jahren mehr oder weniger konstant geblieben. Konstant niedrig. Denn auch früher, in den guten alten Zeiten, waren weiße Weihnachten mitnichten häufiger als heute. In vielen deutschen Städten gab es schon zur Zeit unserer Großeltern nur alle 3 – 10 Jahre Schnee an Weihnachten, maßgeblich abhängig von der Höhenlage der Stadt. So gibt es in München (520m über dem Meeresspiegel) durchschnittlich alle 3 Jahre Schnee an Weihnachten, im Ruhrgebiet (30-100m über dem Meeresspiegel) nur alle 9 Jahre.
Besonders verwunderlich ist das alles eigentlich nicht. Schließlich ist der meteorologische Winteranfang erst am 21. Dezember. Der Dezember ist deshalb in Deutschland kein besonders kalter Monat. Hinzu kommt der moderierende Einfluss des Golfstroms auf das mitteleuropäische Klima, welcher Dezembertemperaturen weit über dem Gefrierpunkt möglich macht. Klimawandel hin oder her. Schnee gibt es deshalb im Dezember eher selten, dieses Jahr war schon außergewöhnlich. Laut dem Deutschem Wetterdienst gab es übrigens in den letzten 100 Jahren nur sechsmal flächendeckend weiße Weihnachten in Deutschland.
Woher kommt dann diese feste Überzeugung, dass an Weihnachten Schnee liegen muss? Die Antwort ist wohl mehrschichtig, angefangen mit schlichter Nostalgie. Weiße Weihnachten sind einfach besonders schön, deshalb erinnert man sich gerne an sie, auch wenn sie im Leben der meisten Deutschen nur selten vorkamen. Zum anderen spielen Filme, Werbungen und Literatur gerne mit dem Thema der romantischen verschneiten Weihnachtszeit und verfälschen so unsere Wahrnehmung. Auch der amerikanische Einfluss auf unsere Kultur wird so sichtbar, denn im Norden der USA sind weiße Weihnachten weitaus häufiger als in Deutschland. So gibt es in Boston durchschnittlich alle 5 Jahre Schnee an Weihnachten, im mittleren Westen alle 3-4 Jahre und in Chicago sogar fast alle 2 Jahre. Grund dafür ist der fehlende Einfluss des Golfstroms, was in Nordamerika für eiskalte, kontinentale Winter sorgt.
Am Ende dieses Artikels gibt es also eine gute und eine schlechte Nachricht für alle die sich auf weiße Weihnachten freuen. Die Gute zuerst: Der Klimawandel wird uns die geliebten weißen Weihnachten nicht zunichtemachen, es wird auch in Zukunft noch Schnee an Weihnacen geben. Die Schlechte: Weiße Weihnachten waren in der Vergangenheit recht selten und werden auch in Zukunft nicht häufiger werden. Man sollte sich diese Weihnachten also keine allzu großen Hoffnungen auf die weißen Flocken machen. Außer man lebt tatsächlich auf der Zugspitze.
2 Kritikpunkte:
1. „Nun gibt es bei dieser Sache …“ Dieser Absatz ist doppelt.
2. „Schließlich ist der meteorologische Winteranfang erst am 21. Dezember.“
Leider nein! Der meteorologische Winteranfang ist am 1. Dezember, am 21. Dezember ist der kalendarische Winteranfang
Jaja, die Nostalgie der weißen Weihnacht.
Ein Gerücht, oder sollte man besser sagen ein Gericht, zusammengerührt aus falschen Erinnerungen und gefährlichem Halbwissen.
Dass Schnee Mitte bis Ende Dezember in großen Teilen Deutschland eher selten ist, ist nicht nur „wissenschaftlich“ belegt. Auch ganz banale historische Belege können sich finden lassen, wenn man an richtiger Stelle sucht.
So waren Weihnachtskarten bis zum Ende des 19. Jahrhunderts meist in braunen Töne gemalt, entsprechend der tatsächlichen Vegetation. Menschen sassen unter Weinblätter zusammen – wobei ich eher denke es war Efeu.
Die Legende besagt, dass die Auswanderer um die Jahrhundertwende (19./20.) ihren Verwandten in der alten Heimat Weihnachtsgrüsse schickten. Wie auch die europäischen Kartenmaler, malten die in den USA halt ebenfalls das, was sich vor der Haustüre präsentierte – und das war eben meist eine weite Schneelandschaft. Weil es gar so kuschelig aussah, begannen die Postkartenkünstler der alten Heimat allmählich diese (Schnee-)Motive zu übernehmen. Böse Zungen könnten auch behaupten, weil man dafür weniger Farbe braucht…
Gleichzeitig kam auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Wintertourismus in den Alpen in Mode – und dort gab es weiße Landschaft. Erinnerungen die man nach Hause mitnahm.
Zwangsläufig führte das zu Erzählungen. Sei es Mund-zu-Mund, Romane und, später dann, der (Ton-)Film. Und spätestens dann war die Legende von „weißer Weihnacht“ in den Köpfen der Menschen etabliert.
(Und an dieser Stelle würde ich gerne eine Lanze für die Boomer brechen, das alles war alles vor deren Zeit. Die sind Opfer dieser Legende!!! …boah bin ich stolz, uns Boomer auch mal als Opfer bezeichnen zu können… hier-müsste-jetzt-ein-zwinker-smeilliiee-stehen…)